4.4 Was ist Wahrnehmung? Was ist ein Ich? Was ist eine Sache?

Created: 2019-06-30 Updated: 2024-01-11 History Videos

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  1. I. Warum steht Wahrnehmung am Anfang?
  2. II. Von welchen Wahrnehmungsmodellen gehe ich aus?
  3. III. Was ist ein Ich? Was sind Handlungen?
  4. IV. Welche Voraussetzungen hat das Konzept der Wahrnehmung?
  5. V. Was ist wahrnehmbar? Was ist eine Sache?
  6. VI. Welche Verbindung hat die Wahrnehmung zu anderen Ausdrücken?
  7. VII. Was ist meiner Ansicht nach eine Wahrnehmung? Was ist ein Bewusstsein? Was ist Aufmerksamkeit? Was ist ein Gefühl?
  8. VIII. Welchem Modell meiner Klassifizierung entspricht meine Wahrnehmungsdefinition?
  9. IX. Welche weiteren Modelle werden besprochen?
    1. Wahrnehmungsbeeinflussungen
    2. Wahrnehmungsrechtfertigungen
    3. Wahrnehmungsinhalte
    4. Epistemologische Wahrnehmungsprobleme
    5. Handlungsbasierte Wahrnehmungstheorien
    6. Wahrnehmungsbasiertes Lernen (Perceptual Learning)
  10. X. Was ist Wissen?
  11. XI. Wie helfen diese Definitionen von Wahrnehmung und Wissen weiter?

Zurück: 4. Philosophie - Weiter: 4.5 Wie ist die Welt beschaffen?

Eine konkrete Wahrnehmung ist ein bewusst gewordener Unterschied; der Prozess des Wahrnehmens wiederum, der ebenfalls als Wahrnehmung bezeichnet werden kann, ist das Bewusstwerden eines Unterschieds.

Das Ich (Inneres) und die Welt (Äußeres) sind zwei für eine Wahrnehmung notwendige voneinander abgegrenzte Teile, mit denen es erst möglich wird, eine Wahrnehmung zu beschreiben. Ohne diese Einteilung ist nicht klar, worauf sich eine Wahrnehmung beziehen soll. Wer nimmt wahr, wenn es kein Inneres gibt? Was wird wahrgenommen, wenn es kein Äußeres gibt? Das gilt meiner jetzigen Ansicht nach auch, wenn man davon ausgeht, dass das Äußere vom Inneren konstruiert wird.

Eine Sache oder Ding ist ein Platzhalter für alles, was wahrgenommen oder nicht wahrgenommen werden kann.

Die Frage nach der Wahrnehmung ist die Frage nach der Bestätigung über das Vorhandensein einer Sache. Und ich beschäftige mich in diesem Kapitel mit der Frage: Wie ist eine solche Bestätigung aufgebaut?

Im weiteren Verlauf dieses Kapitels möchte ich darauf eingehen, unter welchen Voraussetzungen ich zu diesen Beschreibungen gelangt bin. Zunächst möchte ich jedoch erklären, warum ich Wahrnehmung an die erste Stelle meiner inhaltlichen philosophischen Ausarbeitung gesetzt habe.

I. Warum steht Wahrnehmung am Anfang?

Wie bei jedem Anfang stellt sich zunächst die Frage, wieso gerade dieser Aspekt vor alle anderen gesetzt wurde? Wenn die einführenden Fragen ausgeblendet werden: Warum ist die Frage nach der Wahrnehmung an erster Stelle und warum ist sie wichtiger als eine andere, wie zum Beispiel die Frage nach dem Denken oder die nach der Bedeutung (1)? Und darüber hinaus: Warum verknüpfe ich die Frage nach der Wahrnehmung im Titel mit weiteren Fragen (2)?

(1) Ich setze die Frage nach der Wahrnehmung an den Anfang, weil ich davon überzeugt bin, dass sie für das Verständnis aller anderen Aspekte der Philosophie notwendig ist, da ihre Antworten darüber entscheiden, welche anderen Fragen überhaupt gestellt werden können.

Man kann keine Frage über etwas stellen, das man nicht auf irgendeine Weise wahrgenommen hat.

Dies wird auch an allgemeineren Konzepten wie Gott deutlich, die scheinbar nicht klassisch wahrnehmbar sind, weil sie üblicherweise nicht mit den fünf Hauptsinnen wahrgenommen werden. Über Gott werden trotz dieser fehlenden Sinneswahrnehmungen dennoch sehr viele Fragen gestellt.1 Wie ist das möglich, wenn ich doch vorher gesagt habe, dass man eine Wahrnehmung benötigt, um über etwas Fragen stellen zu können?

Zunächst einmal reduzieren sich Wahrnehmungen für mich nicht nur auf die Sinneswahrnehmungen der fünf Hauptsinne2. Wahrnehmung kann auch über andere Sinne erfolgen, da ein Sinn lediglich ein Zugangsweg für die Verarbeitung von Informationen darstellt. Andere Sinne sind zum Beispiel im Körper die Lagewahrnehmung, Temperaturwahrnehmung oder wenn man Religiöses akzeptiert vielleicht sogar göttliche Eingebungen. Was ich jedoch hervorheben möchte: Wenigstens ein Zugangsweg ist notwendig, um über Gott sprechen zu können.

Davon abgesehen lässt sich bei dem Ausdruck "Gott" (aber auch bei jedem anderen Ausdruck) feststellen, dass man sich nur damit beschäftigen kann, wenn man das Konzept entweder im Umgang mit anderen kennengelernt hat oder er sich über seine Folgen auf unsere Umgebung gezeigt hat.

Wenn man das Konzept von anderen Menschen gelernt hat, dann müssen diese Menschen es auch in irgendeiner Weise gelernt haben und damit etwas Bestimmtes verbinden. Wenn das nicht der Fall wäre, ist der Begriff bedeutungslos. Daraus folgt, dass jeder Begriff aus der Wahrnehmung der Menschen entstammt, die diesen Begriff als Bezeichnung für eine Erfahrung in der Welt gebraucht haben, weil ihnen etwas aufgefallen ist. Wenn diese Menschen dann beispielsweise religiös sind, erkennen sie in ihren Erfahrungen möglicherweise die Handlungen Gottes in der Welt und beschreiben einen Schöpfer. Wenn sie nicht religiös sind, sehen sie darin etwas anderes.

In jedem Fall benötigt man jedoch eine Bestätigung über das Vorhandensein von etwas, um ihm sinnvoll Eigenschaften zuschreiben und darüber sprechen zu können. Das bedeutet nicht, dass es physikalisch vorhanden sein muss, sondern nur, dass es in irgendeiner Weise verwendet werden kann. Aus diesem Grund nimmt man meiner Ansicht nach auch Sachen wie grammatische Propositionen wahr, die natürlich keine Elemente in der physikalischen Welt darstellen. Man nimmt sie wahr, weil ihre Verwendung in der Sprache eine Funktion erfüllt, die wiederum über Repräsentationen beobachtet werden können. Hätte man diese Repräsentationen oder andere Hinweise nicht auf irgendeine Weise aufgenommen, wäre es nicht möglich, darüber zu sprechen, da man ja keinen Zugang zu dieser Sache (in diesem Fall den grammatischen Präpositionen) gefunden hätte.

Aus diesen Gründen erscheint es mir wichtig, zunächst einmal zu klären, welche Vorstellungen man überhaupt allgemein von dieser Bestätigung über das Vorhandensein besitzt, bevor ich dazu übergehen kann, andere Fragen klären zu wollen. Denn wenn man bei Untersuchungen auf Schwierigkeiten stoßen sollte, muss man, um sie zu lösen, vielleicht nur eine andere Perspektive einnehmen, anstatt die vollständige Argumentation zu verwerfen. Vielleicht ist die Argumentation aber auch grundsätzlich an die Wahrnehmungsperspektive gebunden.

Gleichzeitig möchte ich die Argumentation nicht über das Denken vergangener Philosophinnen oder Philosophen aufbauen, da ich davon ausgehe, dass dieses Denken bereits bestimmte Aussagen über unsere Welt trifft, die nicht ohne Weiteres hergeleitet werden müssen. Dennoch füge ich Anmerkungen hinzu, wenn ich in meinem Forschungsprozess auf Gedanken anderer Philosophinnen stoße, die ich für diese Ausführungen einbringen kann.


Mir geht es bei der Wahrnehmung zunächst um die Klärung dieser Bestätigung über das Vorhandensein von etwas. Erst im Verlauf möchte ich dann näher darauf eingehen, wie diese Bestätigung unser Denken und unsere Erkenntnis beeinflusst und welche weiteren philosophischen Probleme sich daraus ergeben.

Aus diesem Grund konzentriere ich mich zunächst auf eine verallgemeinerte, naive, wissenschaftliche Beschreibung des Vorgangs und erweitere diese um Voraussetzungen, die für das Verständnis meiner Ansicht nach notwendig sind. Danach gehe ich darauf ein, wie dieses Verständnis von Wahrnehmung in den philosophischen Diskurs eingebettet und wie meine Wahrnehmungsdefinition durch andere philosophische Ansätze zur Wahrnehmung hinterfragt werden kann. Diese Herangehensweise ist auf den nicht-philosophischen Leser ausgerichtet, der sich nicht dafür interessiert, wer wann die Frage gestellt hat, sondern was sich aus dieser Frage für ihn konkret ergibt.

(2) Darüber hinaus verknüpfe ich die Frage nach der Wahrnehmung mit weiteren Fragen, da Wahrnehmung zwar im Zentrum dieses Kapitels steht, aber die anderen Begriffe meiner Ansicht nach mit ihr zusammenhängen. Wenn ich also in einem Kapitel mehrere Fragen in den Titel setze, dann gehe ich von einem Zusammenhang zwischen den Begriffen aus, den ich durch diese Form hervorheben möchte.

II. Von welchen Wahrnehmungsmodellen gehe ich aus?

Doch was genau ist Wahrnehmung? Im Alltagsverständnis verbindet man damit zunächst zwei Verwendungsmöglichkeiten3: 1. den Prozess der Aufnahme von Informationen über die klassischen fünf Sinne (eine ganz konkrete Aufnahme in einer bestimmten Situation wäre zum Beispiel: ich sehe einen Apfel.), 2. die Beanspruchung bestimmter Situationen, darunter leicht von mir angepasst 2a das Nutzen einer [als besonders empfundenen] Möglichkeit (zum Beispiel: ich nehme den Termin wahr, er hat die Chance wahrgenommen) und 2b das Bearbeiten oder Verteidigen von Angelegenheiten [als Stellvertreter] (sie hat die Belange ihres Klienten wahrgenommen).

Bei meinen weiteren Beschreibungen konzentriere ich mich nur auf die erste Verwendung des Begriffs, da diese dem entspricht, was ich in meiner Einleitung erklärt habe. Ich werde im weiteren Verlauf diese Definition erweitern, indem ich versuche, zu klären, was die Aufnahme von Informationen bedeutet.

Zunächst beginne ich allerdings mit einer wissenschaftlichen Annäherung, die den Prozess der Aufnahme von Informationen als eher nicht kontrollierbare durch das Gehirn gesteuerte Verarbeitung der von uns aufgenommenen Welt beschreiben.

"Die Welt wie wir sie wahrnehmen ist ein Konstrukt unseres Gehirns. Zur Erschaffung dieser Welt nutzt das Gehirn nicht nur die aktuelle sensorische Information, die es von unseren Sinnesorganen erhält. Es steckt auch Annahmen hinein, die es für die Auswertung der Sinnesinformation braucht, sowie Erfahrung und Wissen, die es in unserem Gedächtnis findet."4

Wahrnehmung ist bei dieser Erklärung (1.) vordergründig ein für das Individuum passiver Prozess, der dafür verantwortlich ist, unsere Vorstellung von der Welt zu prägen, indem er diese aus den sensorischen Informationen und den Annahmen unseres Gehirns konstruiert. Hier wird auch deutlich, dass Wahrnehmung eine Verbindung zu Begriffen wie Sinn, Erfahrung, Erinnerung, Wissen, Erkenntnis oder auch das Denken im Allgemeinen aufweist und dass man sich über diesen Zusammenhang bewusst sein muss, um zu einem vollständigen Verständnis des Prozesses zu gelangen.

Wahrnehmung kann jedoch auch anders betrachtet werden: zum Beispiel so, dass sie (2.) lediglich eine Verbindung zwischen unseren Vorstellungen und der uns umgebenden Welt schafft und damit überhaupt keinen konstruierenden Teil besitzt.5 Oder sie kann so betrachtet werden, dass sie (3.) die Welt als solche vollständig erschafft und damit gar keinen sensorischen Teil enthält.6 Das sind die logischen Möglichkeiten, die man aus der Verneinung bestimmter Bestandteile des ersten Modells erhält (Verneinung der Konstruktion und Verneinung der Welt). Bisher sind das alle allgemeinen Modelle, mit denen ich mich beschäftigt habe. Wenn ich über neue stoßen sollte, dann füge ich sie an dieser Stelle hinzu.

Nachfolgend möchte ich die Voraussetzungen für die verschiedenen Modelle näher betrachten, um mit ihrer Hilfe zu einem eigenen Wahrnehmungsbegriff zu gelangen, der als Grundlage für meine weiteren Ausführungen dienen kann. Gleichzeitig möchte ich dahingehend klären, warum ich das erste Modell bevorzuge.

III. Was ist ein Ich? Was sind Handlungen?

Wenn man davon ausgeht, dass Wahrnehmung etwas ist, das einem passiert oder das man selbst ausübt, dann muss man zunächst einmal klären, was dieses Ich überhaupt ist, das etwas wahrnehmen kann oder etwas wahrnimmt? Ohne diese Voraussetzung zu klären, ist es nicht möglich, Wahrnehmung weiter zu denken, da man sonst den alltäglichen Gebrauch des Wortes vernachlässigt.7

Man benötigt also generell die Vorstellung eines eigenständigen Ichs, eines Individuums, eines Inneren oder auf anderes bezogen eines abgegrenzten Etwas, um Vorgänge begründen zu können. Und man braucht die Vorstellung einer Handlung, von Prozessen, um die alltägliche Erfahrung von Abläufen kategorisieren und beschreiben zu können. Hätte man diese beiden Beschreibungsmuster nicht, könnte man Veränderungen von individuellen Sachen nicht bestimmen. Wie sollte man zum Beispiel erklären, dass ein Hund bellt, wenn man weder ein Konzept eines abgegrenzten Individuums (eines Hundes) noch ein Konzept eines Ablaufs (des Bellens) hätte? Handlungen sind in diesem konkreten Fall der Definition nicht motiviert, da es unmöglich ist, herauszufinden, ob die Abläufe außerhalb des eigenen Denkens eine Eigenständigkeit besitzen. Weiterhin ist es auch fragwürdig, was Motivation (oder Intention) außerhalb des eigenen Denkens überhaupt ist: Ist ein Stein zum Beispiel motiviert, den Hügel herunterzurollen, weil dieses Ziel für ihn existiert? Für das Innere gibt es wiederum die Frage, wie man überhaupt feststellen will, wie die Motivation nicht durch etwas Äußeres gesetzt wird?

Eine konkrete Ausformulierung dieses Problems hatte ich bereits in der Einführung dieser Grundlagen erwähnt: Ich erachte es für schwierig, ein selbstmotiviertes handelndes Ich mit den Gesetzen des uns bekannten Universums zu vereinbaren. Denn wenn das Ich durch unsere Vergangenheit geprägt ist, dann können keine Entscheidungen getroffen werden, weil nichts getan werden kann, was nicht mit der Vergangenheit vereinbar ist. Wie sollte man zum Beispiel die Entscheidung getroffen haben, einen Ball zu fangen, den man nie gesehen hat? Man kann keine konkrete Entscheidung für etwas treffen, was einem nicht kausal passiert ist.

Meiner Ansicht nach sind unsere Möglichkeiten: 1. Man geht davon aus, dass man dazu in der Lage ist, etwas zu tun, was gegen die Gesetze des Universums (konkret die Kausalität) verstößt, was bedeutet, dass die Gesetze anders funktionieren als nach der Kausalität. Oder 2. man geht davon aus, dass das Universum in einem bestimmten Maß Kausalitäts- und Logikbrüche zulässt, was dazu führen würde, dass man sich niemals sicher sein kann, ob irgendwas in Zukunft noch so ist, wie es bisher war. Dann könnte es aber schon morgen keine Gravitation mehr geben. Oder 3. man geht davon aus, dass es keine Freiheit gibt, sondern alle Entscheidungen, die man trifft, durch den Aufbau des Universums vorherbestimmt sind und wir lediglich das Phänomen beobachten können, dass wir scheinbar Entscheidungen treffen.

Trotz dieser generell eher unbefriedigend erscheinenden Auswahl, bin ich mit der letzten Antwort doch ganz zufrieden und würde mich für diesen Ausweg stark machen. Denn selbst wenn unsere Entscheidungen nur Illusionen unserer Wahrnehmung sein sollten, so sind es dennoch Illusionen, die in unserem Interesse liegen (weil sie aus unserer eigenen Vergangenheit heraus entstehen) und die wir in diesem Moment erleben, was sie relevant für unser Leben und unser Wohlergehen macht.

Wenn man diesen Ausweg wählt, um die Vorstellung von Handlungen zu beschreiben, dann kann man unser Alltagsphänomen von Freiheit darüber erklären, dass wir selbst innerhalb der Physik durch die Physik handeln. Wir sind der vollständige Körper, der eine Bewegung ausführt und damit die Entscheidung trifft und erlebt. Wir sind aber auch vollständig von der Physik abhängig, die uns das Treffen dieser Entscheidung erleben lässt.8

IV. Welche Voraussetzungen hat das Konzept der Wahrnehmung?

Nachdem ich nun meine Vorstellung des Ichs und des Handelns verdeutlicht habe, steht für mich die Frage im Raum, welche Eigenschaften ein Ich hat, das etwas wahrnimmt. Was macht also ein wahrnehmendes Ich konkret zu einem wahrnehmenden Ich?

Ein solches Ich lässt sich meiner Ansicht nach wie weiter oben bereits angerissen vordergründig als eine Art von Abgrenzung denken.9 Wenn ich sage, dass ich etwas tue oder dass mir etwas zustößt, bedeutet das, dass dieses Ich im Zusammenhang mit den genannten Ereignissen steht. Es ist jedoch nicht identisch mit den Ereignissen.

Das erscheint zunächst einmal als nichts Besonderes, aber für mich ist das eine wichtige Erkenntnis: Jedes Ereignis besitzt damit ein erfahrendes Ich, das dem Ereignis auf irgendeine Weise beiwohnt, darüber hinaus aber auch ein etwas, das von den Ereignissen betroffen ist (durch eine Handlung, ein Erleiden oder eben eine Wahrnehmung). Ich möchte noch kurz ergänzen, dass ich nicht denke, dass damit der Ereignis-Begriff vollständig erfasst wurde, da zum Beispiel auch der Ablauf eines Ereignisses relevant sein könnte. Allerdings folgt aus der einfachen Trennung von erfahrendem Ich und von einem Ereignis Betroffenes, dass das übergeordnete Ereignis und das Ich nicht identisch sein können, da das vom Ereignis Betroffene nicht identisch mit dem erfahrenden Ich sein muss. Bei einigen Ereignissen kann das erfahrende Ich allerdings identisch mit dem von dem Ereignis Betroffenen sein. Zum Beispiel bei solchen Aussagen wie: ich fürchte mich.

Die erste Voraussetzung für eine Wahrnehmung scheint damit die Trennung in einen Wahrnehmenden (erfahrendes Ich) und etwas Wahrnehmbares (Betroffenes) zu sein oder anders formuliert: 1. Eine Wahrnehmung benötigt eine Beobachterin und etwas Beobachtbares.

Ich halte diese Vorstellung für sehr stark, aber möchte auch die Gegenposition beleuchten, um zu überprüfen, ob diese sinnvoll vertreten werden kann. Um also diese Annahme zu widerlegen, müssen wir uns eine Wahrnehmung ohne Perspektive vorstellen, ohne Wahrnehmenden und ohne etwas Wahrnehmbares.

Wenn wir uns eine Wahrnehmung ohne Perspektive vorstellen wollen, würde sich der Begriff wahrscheinlich am ehesten in eine Richtung entwickeln, in der wir davon ausgehen, dass wir identisch mit dem gesamten Universum sind. Nur wenn wir alles sind, gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Beobachter und Beobachtbares. Das ist der einzige Zustand, der mir bewusst ist, bei dem die Einteilung von Beobachter und Beobachtbares nicht stattfinden muss. Auch wenn das nach einer Übertreibung klingt, sollte diese Vorstellung nicht sofort beiseitegeschoben werden.

Da über die Grundlagen unserer Wahrnehmung gesprochen wird, kann man weder belegen noch widerlegen, dass wir alles sind. So könnte es zum Beispiel sein, dass wir einfach alles sind, aber von unserem Wesen her so eingeschränkt, dass wir nicht bemerken, dass wir alles sind. Mir erscheint es jedoch sinnvoller zu sein, Annahmen zu bevorzugen, bei denen wir nicht sagen müssen, dass etwas existiert, was über unser Alltagsverständnis hinaus geht und was wir auch sonst nicht weiter nachweisen können. So ersparen wir uns Argumente, die wir wahrscheinlich nicht so gut belegen können.

Eine solche Herangehensweise bei der Überprüfung von Thesen ist gefährlich, da sie bestimmte Möglichkeiten aufgrund einer scheinbaren Praxistauglichkeit bewusst vernachlässigt. Sie führt aber auch zu einem effizienten Umgang mit philosophischen Vorstellungen, die für den Alltag eine weniger große Bedeutung haben. Wenn zum Beispiel eine Vorstellung keine Voraussagen über die Welt treffen kann, dann erhält diese Vorstellung einfach weniger Aufmerksamkeit, da sie maximal eine Interpretation anbieten kann, die auch von anderen Vorstellungen abgedeckt wird.

Die Vorstellung, dass wir alles sind, erfordert einen wesentlich größeren Beweisaufwand als die Vorstellung, dass es eine Aufteilung zwischen Beobachter und Beobachtbares gibt, da unser Alltag dadurch gekennzeichnet ist, dass wir anscheinend eine individuelle Wahrnehmung besitzen und individuelle Entscheidungen treffen können. Damit ist die Vorstellung, dass wir alles sind, zwar nicht widerlegt, aber es ist schwieriger, sie unter anderen möglichen gleichwertigen Vorstellungen zu vertreten. Gleichzeitig ist die Vorstellung, dass wir alles sind, weniger aussagekräftig, da sie uns keine Möglichkeit bietet, über etwas innerhalb des Universums zu sprechen, da wir dafür etwas vom Universum abtrennen müssten, was aber nicht möglich ist, da wir ja anscheinend alles sind. Um nicht noch weiter in Bedeutungsfragen abzurutschen, kann man sich einfach fragen, inwiefern bestimmte Voraussetzungen dabei helfen, etwas in der Welt vorherzusagen oder mit ihnen weiterzuarbeiten. Dies scheint mir bei der Vorstellung, dass wir alles sind, schwieriger zu sein, als bei der Vorstellung, dass es eine Aufteilung gibt.

Aus der Vorstellung der Auftrennung der Wahrnehmung in Beobachterin und Beobachtbares lässt sich die zweite Voraussetzung der Wahrnehmung ableiten: Wenn wir davon ausgehen, dass ein Beobachter eine bestimmte Perspektive besitzt, um etwas Beobachtbares wahrzunehmen, dann bedeutet dies, dass er nicht auf mehr Informationen zugreifen kann, als ihm diese Perspektive generell ermöglicht. Der Beobachter kann auf einer sprachlichen Ebene nicht auf den Prozess selbst blicken, während er sich beobachtet, weil dies zu einem infiniten Regress führen würde: Der Beobachter müsste während er sich beobachtet, auf sich selbst schauen, während er auf sich selbst schaut, während er auf sich selbst schaut. Da man diesen Regress irgendwann abbrechen muss, um überhaupt etwas wahrnehmen zu können, muss man davon ausgehen, dass Wahrnehmung beschränkt ist. Auf einer konkreten Ebene ist dies genauso klar: Ein Hund hat zum Beispiel nur ein bestimmtes Farbsehen und kann nicht mehr Farben sehen, als ihm sein Körper ermöglicht. Die zweite Voraussetzung der Wahrnehmung lautet dementsprechend: 2. Der Beobachter ist eingeschränkt.

Ich gehe davon aus, dass selbst im dritten Wahrnehmungsmodell ein Beobachter eingeschränkt ist, weil seine Konstruktion keine vollständige Wirklichkeit zu jeder Zeit hervorbringt. Obwohl die Wahrnehmende das Wahrnehmbare in diesem Modell zu jeder Zeit vollständig konstruiert, kann sie all ihre Konstruktionen nicht zu jeder Zeit gleichzeitig wahrnehmen, was dazu führt, dass sie aus diesem Grund eingeschränkt ist.

Wenn wir davon ausgehen, dass unsere Wahrnehmung eingeschränkt ist, dann bedeutet das, dass wir nur auf einen Teil aller möglichen Wahrnehmungen zugreifen können. Das bedeutet wiederum, dass es so etwas wie eine individuelle Abbildung eines möglichen Bereichs aller Wahrnehmungen gibt. Daraus entsteht die dritte Voraussetzung für Wahrnehmung: 3. Wahrnehmung ist subjektiv. Wir gehen davon aus, dass unsere Vorstellung von der Welt nicht identisch mit der Wirklichkeit ist, weil wir als Individuen eine Wahrnehmung besitzen, die sich unter den bisherigen Einschränkungen verändern kann, indem wir unsere Sinne steuern. Wir schauen zum Beispiel in eine andere Richtung und bemerken eine Veränderung unserer Wahrnehmung. Wäre unsere Wahrnehmung nicht subjektiv, sollte sich unsere Wahrnehmung nicht verändern. Das widerlegt jedoch nicht das zweite Modell, da wir zwar dort vielleicht die Wirklichkeit so sehen, wie sie ist, aber nicht davon ausgehen können, dass unsere Interpretation dieser Wirklichkeit uns zu jeder Zeit alles zeigt, was in dieser Wirklichkeit existiert. Das bedeutet aber auch, dass wir im zweiten Wahrnehmungsmodell eine subjektive Wahrnehmung besitzen, weil unsere Gedanken zur objektiven Welt unterschiedlich sind, da wir nicht die vollständige objektive Welt kennen.

V. Was ist wahrnehmbar? Was ist eine Sache?

Nachdem diese drei Voraussetzungen angesprochen wurden, möchte ich nun näher auf das Beobachtbare eingehen, das mit einer unter den genannten Voraussetzungen erfolgten Wahrnehmung erfasst werden kann und von dem ich bereits zuvor gesprochen habe, aber das ich zugunsten einer tieferen Analyse des Beobachter-Ichs vernachlässigt habe.

Zunächst möchte ich das Konzept der Sache (austauschbar mit Ding) einführen10. Eine Sache ist ein Platzhalter für alles, was wahrgenommen oder nicht wahrgenommen werden kann. Das Konzept dient dazu, sich auf etwas beziehen zu können, was nur möglicherweise in der Welt existiert. Wenn dieses Etwas dann wahrgenommen wird, dann existiert die Sache ganz konkret für uns in einem bestimmten Moment. Wenn sie nicht von einem Individuum wahrgenommen wird, dann existiert sie für dieses Individuum nicht, aber könnte trotzdem für andere existieren11. Die Gesamtheit der Sachen, die von uns wahrgenommen werden können, bildet damit das Beobachtbare einer Beobachterin und ist damit Teil der ersten Voraussetzung.

Die Definition der "Sache" beinhaltet die Vorstellung, dass es etwas geben könnte, das wir nicht wahrnehmen können. Dies dient zur Veranschaulichung einer Möglichkeit, denn in der Wissenschaft existiert nichts außerhalb unserer Wahrnehmung, da es keine sinnvolle Möglichkeit gibt, zu überprüfen, ob etwas existiert, dass wir weder direkt noch indirekt wahrnehmen können.

Wir können zwar davon ausgehen, dass unsere Wahrnehmung eingeschränkt ist, weil wir eine konkrete Perspektive einnehmen. Davon können wir aber nur die Möglichkeit ableiten, dass es etwas geben könnte, das außerhalb dieser Perspektive existiert. Wir können es jedoch niemals belegen, da wir aus unserer eigenen Perspektive nicht ausbrechen können. Wir können sie erweitern, aber jede neue Sache, die wir wahrnehmen, befindet sich wieder unter den Sachen, die wir eben wahrnehmen können, sodass sie nicht mehr unter die Sachen fällt, die nicht wahrgenommen werden können. Daraus folgt zwar, dass es Sachen gibt, die wir vorher nicht wahrgenommen haben. Aber wir können dennoch niemals herausfinden, ob sie bereits vorher existiert haben. Und wir können darüber hinaus auch nicht feststellen, ob es noch mehr gibt, was wir wahrnehmen können.

Das bedeutet, dass wir nur über Sachen sprechen können, die wir bereits wahrgenommen haben. Über die Sachen, die bisher von niemandem wahrgenommen werden können, kann nichts Überprüfbares gesagt werden, außer dass sie nicht wahrgenommen werden können.

Die fünf Sinne (Sehen, Hören, Tasten, Riechen und Schmecken) stellen die wesentlichen Möglichkeiten dar, wie Informationen von Sachen aufgenommen werden können. Es gibt allerdings auch andere Formen, die weniger bekannt sind (zum Beispiel die Temperaturwahrnehmung, das Gleichgewichtsempfinden, die Informationen unseres Darms oder die Körperempfindung der Extremitäten). Damit muss sich die Informationsaufnahme allerdings noch nicht erschöpfen, weil nicht endgültig geklärt werden kann, ob es nicht noch andere Formen der Informationsaufnahme gibt (zum Beispiel göttliche Eingebungen, Verbindungen von zusammengewachsenen Gehirnen oder Übertragungen mithilfe von Computer-Gehirn-Schnittstellen).

Für mich stellt sich bei der Informationsaufnahme allerdings die Frage, welche Gemeinsamkeiten zwischen all diesen Handlungen bestehen und was dementsprechend eine konkrete Wahrnehmung von einer Nicht-Wahrnehmung unterscheidet. Dies möchte ich in den nächsten Kapiteln näher untersuchen.

VI. Welche Verbindung hat die Wahrnehmung zu anderen Ausdrücken?

Um der Antwort auf die Frage, was eine Wahrnehmung konkret ausmacht, näher zu kommen, möchte ich zunächst genauer auf die schon oben erwähnte Verbindung zu anderen Begriffen eingehen. Diese Begriffe sind der Sinn, das Phänomen, die Erfahrung, die Erinnerung, die Erkenntnis, das Wissen und das Denken. Für mich sind diese Begriffe nur unterschiedliche Perspektiven, um über Wahrnehmung sprechen zu können. Sie erweitern unsere Vorstellung davon, was mit Informationen passiert, die uns zugänglich werden und wie über diesen Prozess nachgedacht werden kann.

Sinne stellen die verschiedenen Formen der Informationsaufnahme dar. Dabei mache ich jedoch keinen Unterschied zwischen den fünf Hauptsinnen und anderen Sinnen (wie zum Beispiel der Temperaturwahrnehmung). Ich vertrete die Ansicht, dass Wahrnehmung die einzige Möglichkeit darstellt, wie eine Information aufgenommen werden kann. Damit ist es meiner Ansicht nach auch die einzige Möglichkeit, wie uns Informationen als Grundlage unseres Denkens zur Verfügung gestellt werden, sodass Wahrnehmung für mich zur Voraussetzung für jede Erkenntnis und jedes Denken wird.

Ein Ereignis oder ein Phänomen ist eine Information, die von unserer Wahrnehmung aufgenommen werden kann, aber nicht muss. Das Phänomen stellt etwas Einzelnes dar, das als Begründung herangezogen werden kann.

Der Begriff der Erfahrung bezeichnet ein bestimmtes Ereignis, mit dem die Wahrnehmung eines Individuums verbunden ist. Wenn ich also etwas erfahre, dann passiert mir etwas, das zu einer bestimmten Wahrnehmung meinerseits führt. Diese Verbindung von Ereignis und individueller Wahrnehmung erzeugt ein Gefühl. Dieses Konzept, dass die Verknüpfung eines Ereignisses mit einer individuellen Wahrnehmung ein Gefühl erzeugt, bezeichnet man als Qualia. Die entstandene Empfindung muss nicht übernatürlich erklärt werden, sondern kann ein Bestandteil des physikalischen Systems des Körpers sein.12 Um eine Intuition für eine Situation ohne Qualia zu erhalten, kann man sich vorstellen, wie es sich anfühlt, in einem Tiefschlaf ohne Traum zu sein. Bisher ist nicht geklärt, was Qualia genau auszeichnet, wenn man bedenkt, dass ein Körper auch ohne Qualia funktionieren könnte (während wir schlafen, sind wir trotzdem am Leben und können auf Körperfunktionen zugreifen).

Eine Erinnerung bezeichnet eine erhöhte Sinnesreizung aus dem Körperinneren, die bestimmte Wahrnehmungen hervorruft, die auf ähnliche Wahrnehmungen in der Vergangenheit verweisen.

Das Vergessen führt die Möglichkeit ein, dass Sinneseindrücke vorübergehend oder sogar vollständig verloren gehen können und gemachte und verlorene Sinneseindrücke damit nicht mehr von nicht gemachten Sinneseindrücken unterschieden werden können, da man sich an beide nicht erinnern kann.

Die Erkenntnis ist im Alltagsgebrauch ein abgeschlossener Denkprozess, der eine Information sinnvoll mit dem eigenen Leben und den eigenen Erfahrungen verknüpft. Darüber hinaus ist Erkenntnis die Fähigkeit, Wissen zu erlangen.

Mit dem Wissensbegriff werde ich mich in späteren Kapiteln noch intensiver beschäftigen, da Wissen zentral für die Fähigkeit ist, die Informationen unserer Welt verarbeiten zu können. Wissen bezeichnet für mich hierbei Wahrnehmungen, die auf etwas in unserer Welt zutreffen, von denen wir darüber hinaus überzeugt sind und die auf eine zuverlässige Weise gewonnnen wurden.

Das Denken ist die Anwendung der inneren Handlungsfähigkeit, um Wahrnehmungen mit anderen Wahrnehmungen zu verbinden, was letztendlich zu Wissen führen kann.

Mit dieser Übersicht sollte es möglich sein, Wahrnehmung von ähnlichen Begriffen abzugrenzen und mir nun dabei zu helfen, mein Konzept von Wahrnehmung genauer zu beschreiben.

VII. Was ist meiner Ansicht nach eine Wahrnehmung? Was ist ein Bewusstsein? Was ist Aufmerksamkeit? Was ist ein Gefühl?

Um etwas wahrnehmen zu können, ist es notwendig, zwei Zustände miteinander zu vergleichen, wobei sich der zweite Zustand in irgendeiner Form vom ersten unterscheiden muss.

Wenn wir uns zum Beispiel einen unendlichen Raum vorstellen, in dem es nichts gibt, dann können wir erst etwas wahrnehmen, wenn irgendetwas in diesen Raum gesetzt wird. Ist die eingesetzte Sache aber in jeglicher Form mit dem Nichts des Raumes identisch, dann können wir sie niemals wahrnehmen, da wir keine Möglichkeit hätten, sie vom Nichts zu unterscheiden.

Aus diesem Grund ist eine konkrete Wahrnehmung für mich ein bewusst gewordener Unterschied; der Prozess der Wahrnehmens wiederum das Bewusstwerden eines Unterschieds. Das bedeutet, dass wir nur das wahrnehmen können, was wir auch unterscheiden können.

Daraus folgt, dass eine Information immer einen Unterschied deutlich macht. Ein Unterschied wiederum bezeichnet die Andersartigkeit einer Sache im Vergleich mit einer weiteren Sache.

Das Bewusstwerden oder das Bewusstsein sind für mich ein Zustand einer sich erhöhenden oder einer erhöhten Aufmerksamkeit. Wenn wir zum Beispiel eine erhöhte Aufmerksamkeit für einen Apfel auf einem Tisch besitzen, dann ist uns genau dieser Apfel bewusst. Unsere Aufmerksamkeit ist dann auf die Unterschiede ausgerichtet, die wir von diesem Apfel aufgenommen haben. Diese Definition ist darauf ausgerichtet, Bewusstsein in Bezug auf Wahrnehmung näher zu erläutern. In einem anderen Kontext lässt sich Bewusstsein auch identisch mit meiner Definition einer inneren Handlungsfähigkeit oder einem subjektiven Erlebnis von Zuständen fassen. In diesem Zusammenhang lassen sich auch Gefühle näher beschreiben. Ein Gefühl ist für mich ein bewusst gewordener Unterschied, der besonders intensiv unsere Aufmerksamkeit beansprucht.

Aufmerksamkeit beschreibt für mich den Zustand der Konzentration einer inneren Handlungsfähigkeit auf eine durch Unterschiede erkenntliche Sache.

Unsere innere Handlungsfähigkeit ist ein Sammelbegriff für die Möglichkeit eines Ichs, sich selbst wiederzugeben und ist vordergründig durch unser Denken, unsere innere Stimme, gekennzeichnet. Diese innere Stimme umfasst das Überlegen, das Erinnern, das Beurteilen und das Kreativsein. Ich weiß nicht, ob diese Aufzählung vollständig ist.

Bei der Aufmerksamkeit gibt es für mich keinen Unterschied zwischen einer Sache, die von außen (Sehen, Hören, Temperaturwahrnehmung, etc.) oder von innen (Erinnerung) kommt, da durch die Verarbeitungsprozesse des Gehirns alles im Inneren entsteht. Die äußeren Sachen können lediglich eine stärkere Präsenz in der Aufmerksamkeit besitzen, weil die aufgenommenen Unterschiede durch das permanente Vorhandensein nicht schwächer werden. Äußere und innere Sachen lassen sich deshalb meiner Ansicht nach nur ungenau über die Stärke des entstandenen Reizes unterscheiden. Damit lässt sich feststellen, dass das Bewusstwerden einer Sache demnach der Prozess der erhöhten Konzentration der inneren Handlungsfähigkeit auf einen Unterschied ist, der dann als Abgrenzungsmerkmal für die Unterscheidung von anderen Sachen aufgefasst wird.

Eine erweiterte Beschreibung des Wahrnehmungsprozesses könnte dann lauten: Sachen erzeugen im Austausch mit den Grundkräften ein bestimmtes Kraftmuster, das wiederum eine Reaktion im Individuum anregt, die dann ab einer gewissen Stärke die Grenze des Bewusstseins überschreitet. Im Individuum beschäftigt sich dann unsere Aufmerksamkeit mit der Reaktion, die wir als Unterschied zu einem Ruhezustand begreifen, verbindet sie mit unseren Erfahrungen (wobei bestimmte Reaktionen präsenter als andere sind) und regt damit abschließend unser Denken an, sodass wir am Ende des Wahrnehmungsprozesses mit unserer inneren Handlungsfähigkeit zu einer Erkenntnis gelangen. Darüber hinaus gibt es eine gewisse Nachwirkung des ursprünglichen Reizes, da dieser im Körper durch Wahrnehmungsmechanismen reproduziert und verstärkt wird.23">12" rel="footnote">123

Aus diesem Grund handelt es sich für mich bei „unterbewussten Wahrnehmungen“ nicht unbedingt um Wahrnehmungen, sondern nur um die Aufnahme von Unterschieden, die noch nicht zu einer erhöhten Aufmerksamkeit führt, sondern diese nur ermöglicht. Wäre eine „unterbewusste Wahrnehmung“ für mich eine vollständige Wahrnehmung, dann wären in meinem System Wahrnehmungen und die Aufnahme von Unterschieden identisch. Das widerspricht aber meiner Ansicht nach der alltäglichen Auffassung von Wahrnehmung, die eher durch eine konkrete und bewusste Auseinandersetzung mit Objekten geprägt ist. Ein Beispiel für die Aufnahme von Unterschieden, bei dem das Bewusstsein aber zum Beispiel überhaupt nicht involviert ist, besteht im Lernen von Handlungen, die auch ohne bewusste Reflexion abgespeichert werden können. So zum Beispiel, wenn beim Fahrradfahren mehrere Handlungen auf einmal gelernt werden, unsere Aufmerksamkeit aber nur eine Handlung bewusst wahrnimmt.

In diesem Zusammenhang stellt sich für mich die Frage, ob eine Handlung durch nicht wahrgenommene Unterschiede beeinflusst werden kann; wenn zum Beispiel ein Unterschied zwar aufgenommen, aber nicht bis zu unserem Bewusstsein durchgedrungen ist? Ich denke, dass wir letztendlich durch alle Unterschiede beeinflusst werden, die in irgendeiner Weise über unseren Körper aufgenommen wurden. Das bedeutet, dass ich davon ausgehe, dass jede Handlung möglicherweise von nicht näher nachvollziehbaren Unterschieden mitgeprägt ist. Jedoch gehe ich gleichzeitig davon aus, dass unsere konkrete Wahrnehmung am meisten darüber bestimmt, was unsere innere Handlungsfähigkeit für grundlegende Entscheidungen trifft.

Ein Beispiel für den beschriebenen Wahrnehmungsprozess lässt sich auf folgende Weise konstruieren: Wir schauen in einen Wald hinein und entdecken ein über das Geäst springendes Reh. Ab diesem Zeitpunkt haben sich schon alle Teile des Wahrnehmungsprozesses abgespielt: Das Reh hat ein spezifisches Kraftmuster. Es besitzt eine bestimmte Farbe, eine bestimmte Gestalt, erzeugt bestimmte Töne, einen bestimmten Geruch, welche wir alle über unsere Wahrnehmungsorgane aufnehmen. Dabei fällt uns vielleicht die Gestalt und Farbe mehr auf, als die Töne oder der Geruch. Ein sich schnell veränderndes Kraftmuster deutet im Gegensatz zu den starren Holzresten auf dem Waldboden auf eine mögliche Beute oder eine Gefahr hin, was dazu führt, dass die Reaktion auf das sich bewegende Reh eher in unser Bewusstsein gelangt, als die sich langsam hin und her bewegenden Bäume, die zwar auch in unserem Wahrnehmungsbereich liegen, die aber nicht auf die gleiche Weise in unser Bewusstsein gelangen. Unterbewusst bestätigen sie allerdings den Rahmen für die vormals bewusste Wahrnehmung, dass es sich um einen Wald handelt. Die sich bewegenden Bäume und das Geäst unterstützen damit die Gesamtwahrnehmung des Rehs und damit unseren Kategorisierungsprozess. Das Kraftmuster des Rehs vermischt sich mit unseren Erfahrungen über ähnliche Kraftmuster: Wie sehen Rehe überhaupt normalerweise aus? Stimmt diese Vorstellung mit unserer Reaktion überein? Falls das zutrifft, verstärken wir die Reaktion so, dass wir die Umrisse, das Fell und das Geweih erkennen können, während andere wahrscheinlich erst einmal davon überwältigt sind, überhaupt ein sich bewegendes Tier zu sehen. Abschließend lässt sich feststellen, dass unser Wahrnehmungsprozess Unterschiede im Vergleich zum Waldhintergrund festgestellt hat, die durch unsere evolutionäre Prägung in unser Bewusstsein gelangt sind und dort die Erkenntnis „Reh“ gebildet haben, die wiederum zu einer Entwarnung oder zu einer Schärfung unserer weiteren Aufmerksamkeit führt, je nachdem ob wir innerhalb unserer Erfahrung eine Bedrohung erwartet haben oder nun eine Beute jagen wollen.

Dieses Beispiel der Wahrnehmung einer durch die fünf Hauptsinne wahrgenommenen Sache lässt sich um Beispiele von durch andere Sinne wahrgenommene Sachen ergänzen. So lösen beispielsweise die Temperaturwahrnehmung oder das Gleichgewichtsempfinden ebenfalls über ausreichend starke Kräfte das Bewusstwerden eines Unterschiedes aus: wir frieren plötzlich oder wir fühlen uns schwindlig.

VIII. Welchem Modell meiner Klassifizierung entspricht meine Wahrnehmungsdefinition?

Auf diesen Vorstellungen aufbauend entspricht meine konkrete Vorstellung des Wahrnehmungsprozesses dem ersten vorgestellten Modell der Wahrnehmung. Bei diesem konstruiert unser Gehirn eine subjektive Vorstellung unserer Welt.

Wenn mein Wahrnehmungskonzept eher dem zweiten Modell entsprechen würde, dann würde das bedeuten, dass wir eine objektive Welt direkt wahrnehmen könnten. Das erscheint mir allerdings unwahrscheinlich, weil es zum Beispiel so etwas wie optische Illusionen gibt.

Figure 1. Schachbrett-Illusion

In Abbildung 1 besitzen die Flächen A und B dieselben Farbwerte. Sie erscheinen lediglich unterschiedlich, weil ihre Umgebung unsere Wahrnehmung beeinflusst.

Figure 2. Schachbrett-Illusion mit zusätzlichem Farbbereich

Abbildung 2 macht diese optische Täuschung greifbar, indem sie eine Farbfläche in der Mitte zwischen A und B hinzufügt und aufzeigt, dass A und B identisch sind.

Figure 3. Flecken

Schaut euch Abbildung 3 in Ruhe an und überlegt euch, bevor ihr weiterlest, was ihr dort sehen könnt!

Die Flecken in Abbildung 3 erscheinen zunächst völlig beliebig. Wenn man sich jedoch länger mit ihnen beschäftigt, entdeckt man die Umrisse einer Kuh. Und wenn man diese Umrisse einmal entdeckt hat, kann man sich ihnen nicht mehr entziehen.

Diese Effekte zeigen, dass es einen klaren Unterschied zwischen einer objektiven Welt und einer subjektiven Wahrnehmung geben muss und dass wir die Welt nicht direkt wahrnehmen, da wir sonst trotz unterschiedlicher Interpretation meines Erachtens immer dasselbe sehen müssten.

Auch das dritte Modell der Wahrnehmung ist für mich unwahrscheinlich, da sich unsere Wahrnehmung nach bestimmten Mustern verändern kann. Das dritte Modell beinhaltet die Überzeugung, dass unsere Wahrnehmung das Äußere vollständig konstruiert, ohne dass es außerhalb unserer Wahrnehmung existieren muss. Wenn man aber seine gesamte Wahrnehmung konstruiert, besteht die Frage, warum sich zum Beispiel etwas in das eigene Sichtfeld hineinbewegen kann oder warum man erschreckt werden kann? Wenn man seine eigene Vorstellung der Wirklichkeit vollständig selbst konstruiert, warum gibt es dann Phänomene, die einen überraschen können?

Auch stellt sich mir die Frage, wenn man davon ausgeht, dass man selbst nur Beobachter oder Beobachterin, aber kein Konstrukteur ist, inwiefern man noch davon sprechen kann, dass man seine Wahrnehmung selbst konstruiert. Hier geht es mir darum, dass man selbst nicht einfach beliebige Wahrnehmungen durch seinen Körper erzeugen kann, sondern diese Erfahrungen an etwas gebunden scheint, das außerhalb unseres Handlungsvermögens liegt. Und sobald man davon ausgeht, dass jemand anderes unsere Wahrnehmung erschafft, muss man sich fragen, wo sich dieses andere Etwas befindet.

Das sind für mich die wesentlichen Gründe, warum ich das erste Modell bevorzuge.

Für mich ist eine Wahrnehmung dementsprechend ein bewusst gewordener Unterschied, der vordergründig aus einem für das Individuum passiven Wahrnehmungsprozess heraus entstanden ist. Dieser Prozess konstruiert wiederum aus den sensorischen Informationen und den Annahmen unseres Gehirns eine Vorstellung von der Welt.

IX. Welche weiteren Modelle werden besprochen?

Bevor ich dazu übergehe, mich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie mir eine solche Definition von Wahrnehmung dabei helfen kann, bessere Forschung zu betreiben und ein besseres Leben zu führen, möchte ich darauf eingehen, welche anderen Wahrnehmungsmodelle besprochen werden und wie sie in meine Vorstellungen integriert oder nicht integriert werden können und ich möchte noch darauf eingehen, was ich unter Wissen verstehe und welche Bedeutung es für unser Verständnis vom Lernen besitzt.

Zunächst einmal möchte ich deutlich machen, dass Wahrnehmung innerhalb der Philosophie vordergründig in der Ästhetik und der Erkenntnistheorie besprochen wird. Erstere setzt die Wahrnehmung als Grundvoraussetzung und damit notwendiges Element für die Beschreibung einer bestimmten Art von erhabenem Erlebnis, das zumeist auch mit Schönheit oder Kunst identifiziert wird. Die Erkenntnistheorie oder Epistemologie wiederum stellt Fragen nach der Möglichkeit und dem Zustandekommen von Wissen, worunter eben auch die Wahrnehmung als mögliche Voraussetzung für Wissen fällt.

In diesem Abschnitt konzentriere ich mich ausschließlich auf die Wahrnehmung aus Sicht der Erkenntnistheorie, weil die Beschreibung innerhalb der Ästhetik vor allem eine bestimmte Wahrnehmung voraussetzt und nicht die Wahrnehmung als Ganzes. In früheren Ausführungen habe ich die Wahrnehmung immer in die Ästhetik gesetzt und nur das Wissen in die Erkenntnistheorie. Das würde ich jetzt nicht mehr tun, da die Ästhetik als mögliche philosophische Kategorisierung viele Verbindungen zum Künstlerischen aufweist und damit mein Anliegen, eine Wahrnehmungstheorie zu beschreiben, zu sehr in den Hintergrund gerückt wird.

Ich möchte jedoch nachfolgend nicht nur philosophische Beiträge aus der Erkenntnistheorie in den Vordergrund stellen, sondern vor allem auch biologische und psychologische, da Wahrnehmung ein Phänomen darstellt, das interdisziplinär behandelt wird.

Wahrnehmungsbeeinflussungen

In meinem Modell besteht eine starke Verbindung zwischen den Sinnen und der Verarbeitung im Gehirn. Wahrnehmung ist in dieser Hinsicht kein Aufnahmeprozess von objektiven Fakten, sondern sie wird immer auch durch das Gehirn beeinflusst, sodass wir zu einer subjektiv geprägten Überzeugung gelangen. Auf der anderen Seite bedeutet das jedoch nicht, dass keine Erfahrung intersubjektiv verständlich wäre. Wahrnehmungen können bei verschiedenen Menschen oberflächlich ähnlich ausfallen. Und es kommt immer darauf an, wofür man die gemachte Erfahrung benötigt, um daraufhin festzustellen, ob die gewählte Genauigkeit der Wahrnehmung ausreichend ist, um damit die eigene Umgebung zu beschreiben.

Frings und Müller machen diese Zusammenarbeit von Sinnesorganen und Gehirn an mehreren Beispielen deutlich34">23" rel="footnote">134: 1. Gesichtsblindheit beschreibt ein Phänomen, bei dem ein Mensch trotz funktionierender Sinnesorgane Menschen nicht mehr erkennen kann. Dies lässt darauf schließen, dass die Sinnesorgane nicht hauptsächlich für das Erkennen von Individuen verantwortlich sind. Im Gegensatz zu dieser Einschränkung existiert ein Phänomen wie Pareidolie, bei dem Menschen in unbelebten Objekten Gesichter oder vertraute Gegenstände erkennen.

  1. Der Necker-Würfel ist ein Würfel, der vom Gehirn auf zwei unterschiedliche Weisen interpretiert werden kann. Bei diesem handelt es sich um eine zweidimensionale Abbildung eines Würfels, die entweder so wirkt, als würde man den Würfel von oben oder von unten anschauen, weil die Kanten unterschiedlich interpretiert werden können.

Darüber hinaus ist das Gehirn dafür veranwortlich, die Sinne miteinander zu verbinden. Wären die Sinne unabhängig voneinander, bestünde die Möglichkeit, dass wir nicht wissen, ob sich ein Gegenstand oder Tier bewegt oder ob wir nur unseren Kopf bewegen.45">34" rel="footnote">145

Wenn das Gehirn allerdings die Wahrnehmung beeinflusst, muss man dann nicht davon ausgehen, dass das Gehirn bestimmte Informationen vorenthält, weil sie für die Ziele des Körpers nicht notwendig erscheinen?

Ich denke, man muss diese Frage bejahen. Simultankontraste, die unterschiedliche Wahrnehmung von horizontalen und vertikalen Linien, Tiefenwirkung, Zusammenwirkung von verschiedenen als unabhängig verstandenen Objekten; all diese Phänomene des Sehens beeinflussen unsere Wirklichkeit und lassen uns zu Einschätzungen kommen, die nur noch bedingt mit den Ausgangsinformationen zu tun haben.

Die Psychologie und die Biologie haben es sich zur Aufgabe gemacht, alle Beeinflussungen unseres Wahrnehmungsapparates auf unsere Wirklichkeitswahrnehmung aufzulisten. Dieses Unterfangen wird auch als Bias-Forschung (kognitive Verzerrung) bezeichnet und wurde vor allem durch Daniel Kahnemann<sup id="fnref-156">45" rel="footnote">156 populär.

In der Philosophie wird bereits in der Antike eine Unterscheidung zwischen Erscheinung und Wirklichkeit vermutet. Sie wird zum Beispiel in Platons Höhlengleichnis aufgegriffen. Das Gleichnis vermittelt den Weg aus der Sinneswelt hin zur Vorstellung einer von den Sinnen unabhängigen Geisteswelt, in der Kategoriebegriffe wie das Gute oder das Schöne existieren. Obwohl ich diese Vorstellung ablehne, macht sie deutlich, dass Platon die menschlichen Sinne bereits als eingeschränkt begreift, da sie allein nicht zu seiner Vorstellung vom Guten führen.

Die Forschung an Wahrnehmungsbeeinflussungen ist demnach zentral, um Wahrnehmung als Ganzes besser zu verstehen. Nur wenn wir begreifen, dass Wahrnehmung bereits eine eingeschränkte Wirklichkeitsabbildung bezeichnet, lässt sich davon ableiten, dass wir vorsichtig damit umgehen sollten, was wir bereits als Selbstverständlichkeiten akzeptieren.

Wahrnehmungsrechtfertigungen

Eine Rechtfertigung ist für mich eine vollständige Begründung. Vollständigkeit meint hier, dass die Begründung für eine bestimmte Situation nicht mehr weiter begründet werden muss. Aus dieser Definition heraus entstehen Fragen darüber, wann eine Wahrnehmung als Rechtfertigung für unsere Vorstellung von Welt betrachtet werden kann, ab wann genügend Begründungen geliefert wurden, die jemandem (oder einen selbst) verständlich machen, warum eine Wahrnehmung angemessen oder schlüssig erscheint.

Eine erste mögliche Antwort darauf lautet, dass Wahrnehmung eine Rechtfertigung für unsere Vorstellung von Welt ist, sie selbst aber in ihrer einfachsten Form keine Rechtfertigung benötigt, weil sie der einzige Zugang ist, mit dem Informationen überhaupt aufgenommen werden können. Das bedeutet, dass man mit Wahrnehmung seine Überzeugung begründen kann, dass ein Apfel auf dem Tisch liegt, weil man ihn gesehen hat. Man kann aber nicht begründen, warum die Wahrnehmung des Apfels ausreicht, um davon überzeugt zu sein, dass ein Apfel wirklich vorhanden ist, da ohne die Wahrnehmung ein Zugang zum Apfel übehaupt nicht möglich wäre. Das erscheint mir schlüssig. Aber an dieser Stelle ist es wichtig, auf die Notwendigkeit der Vorläufigkeit solcher Rechtfertigungen hinzuweisen.

Wahrnehmungen werden, wenn man dieser Argumentation folgt, unanzweifelbar, da sie ja gerade die Basis dafür darstellen, überhaupt etwas anzweifeln zu können. So lassen sich Phänomene wie Träume, Illusionen oder Simulationen, in denen die Wahrnehmung das Hinterfragen selbst begrenzt, als Erfahrung nicht als falsch widerlegen, solange keine anderen Wahrnehmungen zur Verfügung stehen. Dennoch ist es für mich fragwürdig, warum eine Wahrnehmung nicht in Bezug auf andere Wahrnehmungen angezweifelt werden sollte. Ganz im Gegenteil, die Wahrnehmungsbeeinflussungen weisen sogar sehr wahrscheinlich darauf hin, dass jede Wahrnehmung eben nicht direkt die Wirklichkeit abbildet und deshalb auf jeden Fall immer angezweifelt werden sollte.

Wenn das aber wiederum der Fall ist: Wie kann man sich dann aber über eine bestimmte Wahrnehmung überhaupt versichern? Und zweitens: Muss man das? Ich denke, dass eine Versicherung über eine Wahrnehmung wichtig ist, weil nur in diesem Fall daraus abgeleitete Handlungen eine Begründung erhalten können, die mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Wenn man sich über Wahrnehmungen nicht versichern könnte, dann bestünde keine Möglichkeit, die Fehlerquote von Handlungen zu verringern. Diese Frage nach der Versicherung ist für die Rechtfertigung durch Wahrnehmung die wichtigste Eigenschaft.

Zunächst einmal scheint die Versicherung einer Wahrnehmung davon abzuhängen, ab wann keine Begründung mehr für etwas verlangt wird.

Wenn man zum Beispiel darauf besteht, dass eine Wahrnehmung immer fehlerhaft ist, dann lässt sich Wahrnehmung nicht rechtfertigen, da Wahrnehmung der einzige Zugang ist, den man zur Welt besitzt. Wenn man dagegen die Position einnimmt, dass der Wahrnehmungsapparat zwar fehlerhaft ist, aber eine konkrete Wahrnehmung durch mehrere unabhängige Wahrnehmungen repliziert werden kann, dann ist eine bestimmte Wahrnehmung durch die beliebige Wiederholung für die meisten Situationen ausreichend gerechtfertigt.

Eine Rechtfertigung steht dementsprechend in Verbindung zu den Erwartungen desjenigen, der die Rechtfertigung verlangt, denn dieser möchte sicherstellen, dass etwas der Wahrheit entspricht, damit darauf aufbauende Entscheidungen zu den Folgen führen, die man sich wünscht. Eine einzelne Wahrnehmung kann aber durch viele Faktoren fehlerhaft sein, sodass eine Rechtfertigungsforderung eher auf den Fakt hinweist, dass eine einzelne Wahrnehmung zu wenig Beweiskraft besitzt, um den Ansprüchen des Betroffenen gerecht zu werden. Eine Wiederholung der gleichen Wahrnehmung mit gleichen Voraussetzungen durch unabhängige Quellen verringert die möglichen Fehlerquellen und kann dazu führen, dass eine Wahrnehmung dementsprechend gerechtfertigt werden kann.

In diesen Ausführungen bin ich wenig darauf eingegangen, dass es natürlich auch logische Überlegungen geben kann, die bestimmte Wahrnehmungen rechtfertigen. All diese logischen Überlegungen benötigen allerdings immer auch weitere Wahrnehmungen, um eine konkrete Wahrnehmung rechtfertigen zu können. Logik ist eine Abstraktion von wirklichen Zusammenhängen, sie ist aber kein Ersatz. Eine logische Herleitung kann deshalb nur etwas rechtfertigen, weil andere Wahrnehmungen wiederum die Herleitung der logischen Überlegung ermöglicht haben. An dieser Stelle bin ich mir unsicher, halte diese Formulierung aber für nachvollziehbar.

Eine zweite Überlegung beschäftigt sich damit, dass die Rechtfertigung bei der Standarddefinition von Wissen eine zentrale Rolle einnimmt, ich aber bewusst auf eine ausführliche Analyse verzichte, weil ich hier lediglich den Zusammenhang mit der Wahrnehmung als solcher deutlich machen möchte, ohne bereits jetzt auf die oben erwähnten anderen meiner ausgewählten Wissensmerkmale (Wahrheit, Überzeugung, zuverlässige Herleitung) eingehen zu müssen. Grundsätzlich ist die Rechtfertigung von Wissen mit der Rechtfertigung von Wahrnehmungen verwandt, weil die Begriffe Wissen und Wahrnehmung für mich dasselbe Phänomen beschreiben. Wissen ist für mich dabei eine Wahrnehmung, die zusätzlich zur Überzeugung von der Erfahrung auf etwas in der Welt zutrifft (Wahrheitskomponente) und die auf eine zuverlässige Weise gewonnen wurde (Rechtfertigungskomponente).

Weiterhin besteht eine dritte Überlegung darin, noch einmal darauf hinzuweisen, dass eine Rechtfertigung durch Wahrnehmungen, wie sie vordergründig im erstem Teil dieses Abschnitts beschrieben wird, von einer Rechtfertigung von Wahrnehmungen abzugrenzen ist, wie sie bei der Frage nach der Versicherung einer Wahrnehmung behandelt wird. Ersteres möchte ein Phänomen in der Welt durch eine Wahrnehmung belegen und damit rechtfertigen. Zweiteres fragt danach, wie man Wahrnehmungen grundsätzlich trauen kann.

Wahrnehmungsinhalte

https://plato.stanford.edu/entries/perception-contents/

Epistemologische Wahrnehmungsprobleme

https://plato.stanford.edu/entries/perception-episprob/

Handlungsbasierte Wahrnehmungstheorien

https://plato.stanford.edu/entries/action-perception/

Wahrnehmungsbasiertes Lernen (Perceptual Learning)

Wahrnehmungsbasiertes Lernen oder Wahrnehmungslernen beschreibt die Vorstellung, bei der eine Person über vorherige Wahrnehmungen und den damit verbundenen Aufnahmeprozess die nachfolgenden Wahrnehmungen beeinflussen kann. Ein Beispiel dafür ist das Erkennen von Details, die einer uneingeweihten Person nicht so sehr auffallen.

Dabei ist hervorzuheben, dass manche Wahrnehmungsprozesse so stark verinnerlicht werden, dass sie immer wieder reproduziert werden (zum Beispiel wie die Flecken bei Figure 3). Hier ist die Frage interessant, inwiefern bei diesen Fällen ein Lernen von konkreten Wahrnehmungen oder eher von Abstraktionen stattfindet. Ich gehe davon aus, dass beides erfolgt und dass über eine Verknüpfung von zwei ähnlichen Wahrnehmungen die Gemeinsamkeiten zu den Auslösern werden, die die Wahrnehmung ermöglichen.

Weitere Informationen finden sich hier:

Damit zusammenhängend lässt sich das Konzept einer Wahrnehmungsfalle beschreiben, die dazu führt, dass eine etwas abstraktere Wahrnehmung immer wieder dieselben Einschätzungen hervorruft. Eine Wahrnehmungsfalle könnte zum Beispiel so aussehen: Ein Individuum, das unglaubliche Angst vor Hunden hat, wird durch eine positive Hundeerfahrung nicht von seiner Angst vor Hunden befreit. Nur eine langsame Heranführung an Hunde-ähnliche Erfahrungen könnte dazu beitragen, eine Gewöhnung gegen die Angst anzuregen.67">56" rel="footnote">167

X. Was ist Wissen?

Wie schon zuvor erwähnt, bezeichnet Wissen für mich Wahrnehmungen, also bewusstgewordene Unterschiede, die auf etwas in unserer Welt zutreffen, von denen wir darüber hinaus überzeugt sind und die auf eine zuverlässige Weise gewonnnen wurden.

In dieser Hinsicht bestehen die ersten beiden Fragen darin, warum ich diese Verbindung überhaupt ziehe und warum die drei zusätzlichen Definitionsmerkmale nicht auch auf eine Wahrnehmung zutreffen.

Ich verbinde Wahrnehmung und Wissen aufgrund ihrer Konsequenzen für das Leben von Menschen. Wissen führt auf dieselbe Weise wie Wahrnehmung dazu, dass Menschen ihre Handlungen anpassen. Wenn etwas gewusst wird, dann erhält die wissende Person einen Hintergrund dafür, welche Handlung in einem für das Wissen entsprechenden Kontext angebrachter wäre und damit wahrscheinlicher zu einem gewollten Ausgang führt, als würde man diese Sache nicht wissen.

Gleichzeitig bleiben die beiden Begriffe auf dieselbe Weise unkonkret. Eine Verbindung zwischen Wahrnehmung und Liebe könnte ebenfalls über die Folgen auf die Handlungen erklärt werden, wäre aber nicht so aussagekräftig, da Liebe auf eine bestimmte Situation im Leben eingeschränkt werden kann, während Wahrnehmung und Wissen allgemein bleiben und auf jede Handlung zutreffen.

XI. Wie helfen diese Definitionen von Wahrnehmung und Wissen weiter?

Anmerkungen

  1. Wikipedia über das Konzept "Gott". ↩︎
  2. Frings/Müller 2019, S. 12ff ↩︎
  3. Das Wörterbuch der deutschen Sprache und der Duden dazu. Ich möchte keine der beiden Quellen bevorzugen. Sie dienen lediglich als grobe Richtschnur für die Einteilung möglicher Bedeutungen. ↩︎
  4. Frings/Müller 2019, S. 303 ↩︎
  5. Nach meinen bisherigen Forschungen scheinen die eher dogmatischen Strömungen der antiken Philosophie (Thales, Parmenides oder Zenon) diesem Wahrnehmungsmodell zu folgen. ↩︎
  6. In meinen Untersuchungen wird dieses Modell häufig mit Descartes und dem Solipsismus verbunden. Allerdings scheint zum Beispiel auch Fichte mit dem ersten, schlechthin unbedingten Grundsatz auf dieses Modell einzugehen ( Fichte 1845, S. 91ff). ↩︎
  7. In der Philosophiegeschichte scheint das Setzen von Wahrnehmungen ins Zentrum der Untersuchung vor allem mit Descartes populär zu werden. Allerdings möchte ich vorsichtig sein, was eine konkrete Zuschreibung anbelangt, um keine Mythen weiterzuverbreiten. ↩︎
  8. Yudkowsky 2008 ↩︎
  9. In meinen weiteren Forschungen ist mir im Nachhinein aufgefallen, dass Fichte anscheinend in seiner Gegenüberstelung von Ich und Nicht-Ich eine ähnliche Ansicht vertritt ( Fichte 1845, S. 91ff). Ich versuche meine Argumente allerdings weniger über eine logische Herleitung in Bezug auf Identität (A = A) aufzubauen, sondern sehe meinen Ansatzpunkt eher in der Begriffsanalyse der Wahrnehmung. Fichtes Ausführungen sind für mich dabei auch teilweise unverständlich, weil er eine Vielzahl von Definitionen in seinem Denken voraussetzt, bei denen er nicht einmal ansatzweise den Versuch unternimmt, sie mit Fragen zu verknüpfen, die er zuvor gestellt hat. ↩︎
  10. Ich verbinde den Begriff der Sache mit dem der Wahrnehmung, weil eine Sache nur existiert, wenn wir sie wahrnehmen können. Natürlich könnte man noch tiefer in den Begriff einsteigen, aber ich verzichte darauf, weil es mir vordergründig um Wahrnehmung geht. Nur kurz zur Einordnung: Normalerweise ist eine Sache einfach nur identisch mit einem Gegenstand, etwas worüber man spricht und das existiert. Ich erweitere den Begriff, weil ich denke, dass er allgemein genug ist, um auch die Möglichkeit zu implizieren, dass man über etwas Potenzielles spricht, was nur möglicherweise oder aber auch gar nicht existiert. ↩︎
  11. Ich unterscheide darüber hinaus zwischen Sache und Ausdruck, weil eine Sache für mich auch eine konkrete Handlung sein kann, während ein Ausdruck immer etwas auf einer sprachlichen Ebene darstellt. Weiterhin unterscheide ich zwischen Sache und Gegenstand (Entität), weil eine Sache auch etwas Nichtexistierendes sein kann, was eine Entität nicht ist. ↩︎
  12. Rafael Harth beschreibt das Konzept sehr anschaulich mit Beispielen. ↩︎
  13. Fehlende Referenz!<span class="ref"> <a href="#fnref-123">↩︎
  14. <li id="fn-123"><span id="ref-DM6E8K8V-5"><a href="#bibref-DM6E8K8V">↴</a> <a href="https://public.ebookcentral.proquest.com/choice/publicfullrecord.aspx?p=5776121">Frings/Müller</a> 2019, S. 2ff</span><span class="ref"> <a href="#fnref-134">↩︎<li id="fn-134"><span id="ref-DM6E8K8V-6"><a href="#bibref-DM6E8K8V">↴</a> <a href="https://public.ebookcentral.proquest.com/choice/publicfullrecord.aspx?p=5776121">Frings/Müller</a> 2019, S. 13</span><span class="ref"> <a href="#fnref-145">↩︎<li id="fn-145">Quelle fehlt, Kahnemann 2012.<span class="ref"> <a href="#fnref-156">↩︎<li id="fn-156"><a href="https://astralcodexten.substack.com/p/trapped-priors-as-a-basic-problem">https://astralcodexten.substack.com/p/trapped-priors-as-a-basic-problem</a><span class="ref"> <a href="#fnref-167">↩︎

Abbildungen

Literatur