Backes 2021
Connections: |
ref-id: | FB94YK4W |
Show creator | Backes |
All creators | Backes, Laura (author) |
Title | Alle drei Tage: warum Männer Frauen töten und was wir dagegen tun müssen |
Show date | 2021 |
Type name | book |
Ziel
Das Buch bespricht das Konzept des Femizids und versucht Vorschläge dafür zu machen, wie damit umgegangen werden soll, dass Männer Frauen umbringen, weil sie Frauen sind.
Meinung
Statistisch sehr gut recherchiertes Buch mit konkreten und durchdachten Maßnahmebeschreibungen, das eine stark individualistische Perspektive einnimmt. Für mich bleibt jedoch ein Beigeschmack von Beeinflussung, den ich vor allem darauf zurückführe, dass keine Empathie für die Täter entwickelt wird. Es bleibt nicht nachvollziehbar, warum vordergründig nur Männer einen Kontrollverlust erleben und ihre Partner töten; es wird vordergründig als etwas Irrationales betrachtet, das anscheinend durch gesellschaftliche Rollenvorstellungen entstanden ist. Was für eine Unterbindung dieses Verhaltens aufgegeben werden muss, wird nicht näher untersucht.
Fragen an die Autorin
- Führt eine Gleichberechtigung von Mann und Frau dazu, dass Frauen in der Tendenz mehr Männer töten werden, weil sie ihre Gefühle nicht mehr aufgrund von gesellschaftlichen Stereotypen zurückhalten? Ist das etwas Positives? Wenn wir sagen, dass nach außen gerichtete Gefühle etwas Positives sind, ließe sich darüber dann eine Kritik der Femizidaufklärung rechtfertigen, weil man mit ihr dahingehend nur einen ins Extreme übergelaufenen Aspekt des menschlichen Miteinanders kritisiert?
Konzepte
- Femizid: Eine Frau wird durch einen Mann getötet, weil sie eine Frau ist. Grundsätzlich ist damit gemeint, dass Frauen von Männern direkt oder indirekt getötet werden und ihre Weiblichkeit sie in eine Situation hineingebracht hat, die ihre Tötung wahrscheinlicher gemacht hat.
- [Ich halte diese Begriffsbildung teilweise für irreführend, obwohl das Problem einer auf Frauen spezifizierten Tötung durch einen Mann berechtigt ist, da es bestimmte Kontexte gibt, die nur auf Frauen zutreffen. Die Tötung einer Frau, weil sie eine Frau ist, erfordert allerdings eine Verbindung zwischen der Tat und einer Eigenschaft, die alle Frauen im Allgemeinen besitzen. Ob aber eine solche Verbindung vorhanden ist, lässt sich im Einzelfall nicht klar überprüfen.]
- Im Buch selbst wird Femizid häufig mit der Tötung des weiblichen (Ex-)Partners durch einen Mann gleichgesetzt, egal aus welchem Grund.
- [Ich denke, dass diese Definition sinnvoll ist, um Gewalt unwahrscheinlicher zu machen. Gleichzeitig denke ich aber auch, dass sie systematisch diskriminierend ist, weil es ihr egal ist, was die konkreten Ursachen sind.]
- [Meine Anregung für eine Definition von Femizid wäre: Die direkte oder indirekte Tötung einer Frau durch einen Mann, bei der nachgewiesen werden konnte, dass die geschlechtliche Identität als Frau die Tötung wahrscheinlicher gemacht hat. Dies wäre zum Beispiel bei intimen Partnerschaften der Fall.]
Notizen
- Verschleierung
- "Auch deutschen Behörden sind Femizide nicht fremd, sie werden hierzulande nur nicht so bezeichnet, sondern häufig als Partner- oder Trennungstötungen erfasst. Diese Begriffe sind problematisch, weil sie eine entscheidende Dimension verschleiern: nämlich dass diejenigen, die bei diesen Tötungsdelikten sterben, in aller Regel Frauen sind." (S. 31)
- [Gleichzeitig ist die Benennung als Trennungstötung weniger wertend und sexistisch, da das Gesetz keinen Unterschied zwischen Mann und Frau macht. Ich denke, dass es eine wichtige Information ist, dass bei dieser Straftat überproportional viele Frauen betroffen sind, aber eine Verschleierung lässt sich meiner Ansicht nach nicht aus dem Geschilderten ableiten.]
- Medien verharmlosen Tötungen von Frauen als Handlungen aus Leidenschaft oder aus Liebe. (S. 148ff)
- "Auch deutschen Behörden sind Femizide nicht fremd, sie werden hierzulande nur nicht so bezeichnet, sondern häufig als Partner- oder Trennungstötungen erfasst. Diese Begriffe sind problematisch, weil sie eine entscheidende Dimension verschleiern: nämlich dass diejenigen, die bei diesen Tötungsdelikten sterben, in aller Regel Frauen sind." (S. 31)
- Datenpunkte
- "In mehr als der Hälfte aller Frauenmorde weltweit ist der Täter der (Ex-)Partner oder ein Familienmitglied." (S. 30) (UNODC Global Study on Homicide 2019)
- Die meisten Frauen werden in Afrika (19000) und Asien (20000) umgebracht. In Europa sind es 3000. (S. 31)
- "In Teilen der Bevölkerung herrscht das Vorurteil vor, dass Frauen nichtdeutscher Herkunft - vor allem solche aus muslimischen Familien - eher häusliche Gewalt erleben. Diese Pauschalisierung ist aber empirisch nicht haltbar. So etwas wie 'das typische Opfer' gibt es laut Schröttle nicht." (S. 34) [Wichtig.]
- Das Stufenmodell von Monckton Smith beschreibt in 8 Phasen, wie sich ein Mann hin zu einem Frauenmörder entwickelt. In den meisten Fällen ist davon auszugehen, dass ein Mann seinen Kontrollverlust nicht hinnehmen möchte. [Kontrollverlust als wesentlicher Auslöser von Femiziden.]
- "Viele Forscher:innen glauben, dass männliche sexuelle Besitzansprüche eine zentrale Rolle bei Femiziden spielen." (S. 59)
- "In mehr als der Hälfte aller Frauenmorde weltweit ist der Täter der (Ex-)Partner oder ein Familienmitglied." (S. 30) (UNODC Global Study on Homicide 2019)
- Lösungsvorschläge
- Verbesserung der Prävention durch Zusammenführung der Daten von häuslicher Gewalt und Femiziden (S. 32) [Ich halte das für eine sehr gute Forderung.]
- Der "Comparative report on femicide research and data in five countries (Cyprus, Germany, Malta, Portugal, Spain)" beschreibt allerdings, dass dies in Deutschland zumindest zum Teil bereits durch die Anwendung von ODARA passiert (Ebd. S. 18)
- "Steingen plädiert dafür, möglichst früh Geschlechtergerechtigkeit zu thematisieren, schon im Kindergarten und in Schulen. Kinder, glaubt sie, sollten früh lernen und üben, wie man mit Konflikten umgehen kann, was Selbstbestimmung bedeutet, welche Rechte Mädchen und Frauen sowie Jungen und Männer haben." (S. 61) [Für mich die zentrale Lösung, die ich aus dem Buch für mich mitnehme.]
- [Die UNODC-Studie 2019 bleibt neben Geldunterstützungen leider sehr schwammig, was die konkreten moralischen und gesetzlichen Ausprägungen der Verhinderung von Gewalt gegen Frauen anbelangt. Die gezogenen Schlüsse werden auch nicht durch weitere Quellen abgesichert, sondern lesen sich eher als allgemeine Möglichkeitenbeschreibung.]
- Erschwerendes Strafmaß bei einer früheren Partnerin oder einem Partner in Bezug auf die Istanbul-Konvention. (S. 121) [Grundsätzlich eine interessante Idee]
- Grundsätzlich jede Tötung einer Frau als Femizid und damit als Mord klassifizieren. (S. 122) [Meiner Ansicht nach strukturell sexistisch, auch wenn die Schilderungen sehr mitreißend sind.]
- Prävention durch Gefährderansprachen, bei denen die Polizei an einen potenziellen Täter herantritt und ihn über die Folgen seines möglichen Handelns aufklärt. (S. 185f)
- Frauenhäuser besser finanzieren. (S. 186f) [Absolut unterstützenswert. Genereller sollte jedoch ein Schutzsystem für jegliche von Gewalt betroffene Person bestehen.]
- Elektronische Armbänder bei häuslicher Gewalt. (S. 188) [Solange dies irgendwie begrenzt erfolgt, ist diese Maßnahme zu unterstützen. Grundsätzlich verstößt sie aber gegen die individuellen Freiheiten des Täters, der aufgrund einer Gewalthandlung nicht für immer seine physische Freiheit verlieren sollte.]
- Übergaben von Kindern durch offizielle Stellen kontrollieren, um Gewalt in diesen Situationen zu verhindern. (S. 191)
- Anti-Gewalt-Trainings, um Täter andere Vorstellungen von Konfliktbewältigung vorzustellen. (S. 192)
- Bildung über Geschlechterrollen, Frauen sind kein Besitz. (S. 192f) [Wiederholung des für mich wichtigsten Aspekts.]
- Verbesserung der Prävention durch Zusammenführung der Daten von häuslicher Gewalt und Femiziden (S. 32) [Ich halte das für eine sehr gute Forderung.]