Coseriu/Albrecht [1977] 2007
Full Title: | Textlinguistik. Eine Einführung |
ref-id: | C9YM4I5Q |
Show creator | Coseriu/Albrecht |
All creators | Coseriu, Eugenio (author); Albrecht, Jörn (author) |
Title | Textlinguistik: eine Einführung |
Show date | 2007 |
Type name | book |
Das Buch ist eine Aufarbeitung der Vorlesung, die Coseriu im Wintersemester 1977/1978 gehalten hat. Ich habe die 4. Auflage von 2007 benutzt.
Ziel
Die Linguistik des Textes soll anhand verschiedener theoretischer Ebenen herausgearbeitet werden. Dabei ist der Text eine Konkretisierung eines Sprechaktes, der als ein Produkt eines Sprechers aufzufassen ist, der in komplexester Form aus minimalen bedeutungstragenden Elementen eine bestimmte Texttradition (Textsorte) erweitert. (S. 46)
Fragen
Referenzen
Konzepte
- Sprache: "Die Sprache ist eine allgemein menschliche Tätigkeit, die einerseits von jedem Menschen individuell realisiert, ausgeübt wird, wobei sich jedoch andererseits wiederum jeder einzelne an historisch vorgegebene Normen hält, die auf gemeinschaftlichen Traditionen beruhen. So spricht man z.B. Deutsch, Englisch, Französisch usw. aufgrund einer bestimmten, historisch gewordenen Tradition des Sprechens." (S. 9)
- # Text: Unterscheidung der Sprache in universelle Sprachlichkeit (Allgemeinsprachlichkeit), pluralistische Sprachenvielfalt (deutsch, englisch, französisch), konkreter Redeakt in mündlicher oder schriftlicher Form. Was dem letzten Teil angehört, ist ein Text, "ob es sich nun um eine Begrüßungsformel wie Guten Tag oder um die Divina Commedia1 handelt." (S. 10)
- [Der Sprach- und der Textbegriff sind auf die natürlichen Sprachen reduziert.]
- Textlinguistik: 1. Textlinguistik nach Coseriu: Untersuchung der Eigenheiten eines Textes vor jeder Unterscheidung in bestimmte Einzelsprachen. 2. Textgrammatik, transphrastische Grammatik: Untersuchung der Übergangsregeln zwischen Sätzen in jeweiligen Einzelsprachen. 3. Linguistik wird als vom Text her gedacht, Textlinguistik beschreibt den Versuch, theoretische Aspekte von ihren Repräsentationen im konkreten Text zu beschreiben. (S. 33-35)
- Bei der dritten Art kritisiert Coseriu, dass diese zu einer Vermischung von Text- und Sprachfunktion führt. Eine konkrete Verwendung im Text kann nicht eins zu eins als Bestimmung für die gesamte Sprache dienen. [Allerdings macht er auch deutlich genug, dass die dritte Variante einfach eine empirische Methode zur sprachwissenschaftlichen Gewinnung von Fakten darstellt, sodass es mehr eine Kritik einer bestimmten vorschnellen Verallgemeinerung darstellt.]
- Evokation: Assoziation eines Sprechers, wenn er mit einem bestimmten sprachlichen Zeichen konfrontiert wird, dementsprechend die Gesamtheit aller möglichen Relationen, die in "Das sprachliche Zeichen im Text: Andere Arten von Relationen" dargestellt werden. (Vgl. S. 137f)
Zusammenfassung
Einführung in die Problematik einer "Linguistik des Textes"
- Erkenntnisinteresse und Gegenstand möglicher Textlinguistiken: Entwicklung einer Linguistik des universellen Sprechens und einer Linguistik der konkreten Redeakte im Sinn eines Textes, in Abgrenzung zu einer Linguistik einer Einzelsprache.
- Verschiedene Begriffe des Textes: 1. Text lässt sich den Regeln einer bestimmten Sprache zuordnen. 2. Text lässt sich unabhängig von bestimmten Sprachen bestimmten Kategorien zuordnen (Roman, Tragödie, etc.).
- "Schließlich ging es mir damals - und geht es mir z.T. heute noch - vor allem darum zu zeigen, daß die Unterscheidung von drei Ebenen der Sprache für alle Gebiete der Sprachwissenschaft zu machen ist, daß sie überall wichtig und unentbehrlich ist, daß jede sprachwissenschaftliche Disziplin diese Unterscheidung, wenn nicht ausdrücklich, so doch stillschweigend voraussetzt." (S. 11)
- Beispiel: Grammatik bestimmt Kategorien auf der allgemeinsten Ebene, überprüft, ob diese in einer bestimmten Sprache vorhanden sind und analysiert ihre Anwendung dann im konkreten Text.
- [Wichtig: Ich halte diese Analyse für sehr gut und die Unterscheidung erscheint mir verwendbar: 1. Sprechen als abstrakte theoretische universelle Handlung eines Individuums, 2. die konkretere Sprache als mögliche Strukturbeschreibung einer Ausprägung der Handlung und 3. der Text als spezifischer Redeakt einer konkreten Ausprägung der Sprechhandlung. Weitere Ausführungen unter S. 47-54]
- Vorläufer der Textlinguistik: Bevor sich eine konkrete Textlinguistik herausgebildet hat, führt Coseriu die Stilistik oder Rhetorik ein, die sich mit dem konkreten Redebeitrag und dessen Wirkung beschäftigt haben. Die Medialität wird dort berücksichtigt. (Vgl. S. 13)
- Fakten für eine moderne Form der Textlinguistik: Im Gegensatz zur Textlinguistik als Disziplin zur Untersuchung des einzelnen Textes, steht die Textlinguistik als Erweiterung der einzelnen Sprachdisziplinen über die Satzgrenze hinaus (Textgrammatik, transphrastische Grammatik). (S. 16ff, S. 33-35)
- Beispiel: Sätze beziehen sich aufeinander und können nur innerhalb dieser Beziehungen gut beschrieben werden. "Dieser ist groß." kann nur geschrieben werden, wenn das Bezugsobjekt eingeführt wird. Ansonsten ist das Wort "dieser" leer.
- Ebenen einer sprachlichen Strukturierung: Text, Satz, "Klausel", Wortgruppe, Wort, minimale Einheit (bedeutungstragend). Wort und Wortgruppe sind nach Coseriu im Lateinischen als Ebenen nicht vorhanden, da minimale Einheiten bereits alle Informationen tragen, die normalerweise durch Verbindungen von Elementen erreicht werden. Erst auf der Ebene der Klausel, einem möglichen einschränkenden Metakommentar (natürlich, vielleicht; auch als Modalität oder Modalwort bekannt), besitzt das Lateinische wieder eine Ebene. Danach folgt eine kurze Darlegung, dass minimale Einheit und Satz konstituierend für eine Sprache sind, da etwas Bedeutungstragendes und eine Verbindung des Bedeutungstragenden möglich sein muss, um eine Strukturierung von Sprache zu ermöglichen. (Vgl. S. 32)
- Rechtfertigung der "eigentlichen" Textlinguistik: "[D]ie Textlinguistik in dem Verständnis, das ich Ihnen hier nahebringen möchte, ist nämlich nichts anderes als Hermeneutik, und die Theorie dieser Textlinguistik ist nichts anderes als die Theorie der Hermeneutik, der Interpretation." (S. 46) Ab Seite 50 bis 54, wichtigster Teil: 1. Texte können mehrsprachlich sein und lassen sich deshalb nicht einer Sprache zuordnen, 2. Texte müssen nicht den Regeln einer Einzelsprache folgen, 3. Texte folgen bestimmten Universen/Welten und sind nicht unbedingt an Wahrheit gebunden, 4. Texte stehen immer in einem bestimmten Kontext, sie sind situationell bedingt, 5. wichtiger Punkt für Coseriu: Texte besitzen in Form von Textsorten bestimmte Traditionen, die unabhängig von einer bestimmten Sprache bestehen. Es gibt zum Beispiel eine Tradition der Gestaltung bestimmter Textsorten.
- Die Unterteilung in die drei Sprachbereiche entsprechen ungefähr der Unterteilung in Bezeichnung, Bedeutung und Sinn. Bezeichnung der Gegenstände in der Welt durch Sprechenkönnen. Bedeutung ist alles, was die konkrete Einzelsprache ermöglicht. Sinn ist alles, "was gerade durch den Text und nur durch den Text verstanden wird" (S. 63)
- Vom Sinn: "Sprachliche Zeichen haben Bedeutungen, mittels drer sie etwas Außersprachliches bezeichnen." (S. 65) Der Sinn ist in einem Text eine Inhalteinheit einer höheren Ebene. Wir verstehen relativ leicht die Einzelbedeutungen (die Verweise auf bestimmte Mengen) von Wörtern, der Sinn ist jedoch das Verständnis von der zusammenhängenden Bedeutung dieser Wörter in Form eines Textes. (Vgl. S. 64ff) Es gibt eine Art des Inhalts, die allein auf den Text anwendbar ist. Und das ist eben der Sinn. Deshalb: Linguistik des Sinns. (Vgl. S. 67)
Textlinguistik als "Linguistik des Sinns"
- Coseriu nutzt Bühlers Dreiteilung des sprachlichen Zeichens2 als Basis für seine Textlinguistik und lehnt Jakobsons Erweiterung3 gerade in Bezug auf die poetische Funktion des Textes ab. (S. 71ff) "Es kann jedoch nicht der geringste Zweifel daran bestehen, daß dem nicht so ist, daß wir es in der Dichtung auch, und sogar an erster Stelle, mit einem besonderen Inhalt zu tun haben, daß sich die Dichtung nicht auf die Gestaltung, auf das Wie des Gesagten reduzieren läßt." (S. 81) Das Vermaß macht nicht das Dichten aus, sondern der Inhalt.
- Für Coseriu ist der künstlerische, der dichterische Text immer nur die Objektivierung einer absoluten Sprachfähigkeit und nicht von äußeren Umständen oder Kontexten wie dem der Kommunikation abhängig. (S. 84)
- [Hier gehe ich nicht mit, da ich nicht davon überzeugt bin, dass eine im Moment verhaftete Kunst genügend beschreiben kann, warum es so etwas wie Überarbeitungen oder Intentionen in künstlerischen Werken gibt. Diese Aspekte ergeben nur Sinn, wenn das Kunstwerk potenziell einen Empfänger besitzt, auch wenn dieser Empfänger ich selbst bin. Es ist vielleicht kein notwendiges Element, aber dennoch ein sehr häufiges.]
- Das sprachliche Zeichen im Text: Andere Arten von Relationen (wichtig): Textlinguistik erweitert die Vorstellung vom sprachlichen Zeichen in Bühlers Modell und seinen Beziehungen im konkreten Redeakt durch weitere textrelevante Relationen. (Vgl S. 92ff.) Diese Relationen können zu anderen sprachlichen Zeichen (gleich klingende Wörter), mit Gruppen oder Kategorien von Zeichen (Verbindung von Sexus und Genus einer Bedeutung), mit ganzen Zeichensystemen (Aussprache oder Eigenheiten eines Dialekts), mit Zeichen in anderen Texten (Intertextualität), mit Sachen (direkte Nachahmung der Natur durch das Zeichen, Artikulation als Nachahmung bestimmter Bedeutungen, Synästhesie), mit Wissen (Wortbedeutungen für Menschen mit unterschiedlichem Vorwissen), mit dem Kontext.
- Der Sinn als Kombination aller Zeichenrelationen: Die Zeichenrelationen können den Sinn des Textes nicht komplett ausmachen, sondern sie tragen dazu bei, ihn zu verstehen. Dagegen trägt der Kontext dazu bei, dem Text einen Sinn zu geben.
- [Wichtig: Rhetorische Figuren weisen auf einen außersprachlichen Kontext hin, sind aber teilweise nutzlos, da sie universell für jeden Text Gültigkeit beanspruchen. Sie sind meist auf einen einzigen Redekontext zugeschnitten. Dasselbe gilt für alle Mittel der Produktion, sie erfüllen bestimmte Aufgaben im Text, sind aber nicht unbedingt diesen Aufgaben allein gewidmet.]
- "Die Dichtung - und unter Dichtung verstehe ich nicht nur die Poesie im engeren Sinne, sondern die Literatur als Kunst - ist der Ort der Entfaltung der funktionellen Vollkommenheit der Sprache. Der dichterische Sprachgebrauch ist nicht etwa eine Abweichung vom "normalen" Sprachgebrauch, genau das Umgekehrte ist der Fall: Alle anderen Modalitäten der Sprache wie z.B. die Alltagssprache oder die Wissenschaftssprache [...] stellen Abweichungen gegenüber der totalen Sprache dar, gegenüber der Sprache schlechthin." (S. 148)
- Zeichen erscheinen als Realisierung ihrer vollen Möglichkeiten. Das scheint das Dichterische auszumachen. (S. 149)
- Es gibt keine allgemeingültige Technik der Interpretation eines Textes: "Eine Methode, die sich dadurch der Wissenschaftlichkeit zu versichern sucht, daß sie Individuen als Spezies behandelt, mag exakt sein, sie ist jedoch vor allem unwirksam, denn sie erreicht den Gegenstand nicht, auf den sie angeblich ausgerichtet ist." (S. 151)
- # Es gibt eine angemessene Methode der Textinterpretation: Austausch der sprachlichen Zeichen durch andere, um eine Sinnveränderung direkt zu beobachten.
- Der Sinn ist zwar objektiv gegeben; es gibt jedoch kein allgemeingültiges Verfahren zu seiner Aufdeckung
- Was man dennoch tun kann: Die deskriptiven und die historischen Aufgaben im Bereich der Textlinguistik: 1. "die Erfassung und Einordnung der unendlichen Vielfalt konkreter Texte aufgrund von Merkmalen, die mehreren u.U. sehr vielen Texten gemeinsam sind." (S. 157) --> Textsorten4, Phraseologismen, Meme5; Untersuchung einer Texthistorie, der Materialität; Entwicklung von Gattungen und Genres
- Konklusion:
- Textlinguistik beschäftigt sich mit Texten unabhängig der Einzelsprache.
- Coserius Textlinguistik hat als Bezugspunkt die Unterscheidung in die drei Manifestationen des Sprachlichen: Sprechenkönnen (Bezeichnung), Einzelsprachliches (Bedeutung), konkrete Äußerung in Form eines Textes (Sinn).
- Aufgabe der Textlinguistik ist die Feststellung und Rechtfertigung des Sinns der Texte, ähnlich der Sprachbeschreibung der allgemeinen Linguistik. "Den Sinn im Text zu rechtfertigen, bedeutet dementsprechend, den bereits verstandenen Inhalt auf einen bestimmten Ausdruck zurückzuführen, zu zeigen, daß dem signifié das Markrozeichen im Text ein spezifischer Ausdruck entspricht. In dieser Hinsicht ist also die hier behandelte Textlinguistik Interpretation, Hermeneutik." (S. 200)
- Textlinguistik muss auch nicht-literarische [nicht-fiktionale] Texte berücksichtigen.
- Sie umfasst damit den ganzen methodischen Komplex der herkömmlichen Philologie.
- "Wie jede Hermeneutik muß auch diese Textlinguistik über eine Heuristik verfügen, die ihr das Erwartende wenigstens teilweise bereitstellt. Diese Heuristik besteht in der Identifikation der Verfahren zum Ausdruck des Sinns, die manin den Texten antreffen kann." (S. 201)
- Coserius Textlinguistik nimmt den konkreten Text in den Blick und versucht diesen zu analysieren.
- [Wichtig: S. 202 für die Ausdefinierung einer Textlinguistik im Blick auf Textsorten und Gemeinsamkeiten.]
- Die Textlinguistik umfasst die Textsortenlinguistik.
- Es gibt eine Verbindung zwischen den verschiedenen Formen der Textlinguistik (wie oben ausgeführt)
- Die Sinnanalyse der Textlinguistik geht über das Sprachliche hinaus, in alle Bereiche der Wahrnehmung.
Textlinguistik als "transphrastische Grammatik"
[Dieser Teil scheint für meine Bearbeitung nicht weiter relevant.]
Anmerkungen
Literatur
- Bühler, Karl. 1999. Sprachtheorie: die Darstellungsfunktion der Sprache. 3. Aufl., ungekürzter Neudr. d. Ausg. Jena, Fischer, 1934. UTB für Wissenschaft Uni-Taschenbücher Psychologie, Sprachwissenschaften 1159. Stuttgart: Lucius & Lucius. [ref: GJEJ2XXJ; #2
- <span>Coseriu, Eugenio; Albrecht, Jörn. 2007. Textlinguistik: eine Einführung. 4., unveränd. Aufl. Tübinger Beiträge zur Linguistik 500. Tübingen: Narr. [ref: <a href="https://henry.herkula.info/ref/C9YM4I5Q">C9YM4I5Q</
- Gansel, Christina. 2011. Textsortenlinguistik. UTB Profile 3459. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. [ref: XA26JZQ3; #4]
- "Göttliche Komödie". 2019. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=G%C3%B6ttliche_Kom%C3%B6die&oldid=192200386. Accessed: 2019-09-17 21:10:05. [ref: PHTRLEXF; #1]
- Jakobson, Roman. 1972. Linguistik und Poetik. In: Ihwe, Jens (editor). "Literaturwissenschaft und Linguistik: eine Auswahl Texte zur Theorie der Literaturwissenschaft. 1: ...". Fischer-Athenäum-Taschenbücher Literaturwissenschaft 2015. Frankfurt a.M: Athenäum-Fischer-Taschenbuch-Verl. [ref: WP5DHDGQ; #3]
- Shifman, Limor. 2014. Meme: Kunst, Kultur und Politik im digitalen Zeitalter. Deutsche Erstausgabe, 1. Auflage. Edition Suhrkamp 2681. Berlin: Suhrkamp. [ref: X3DTU5T2; #5]
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