ref-id: |
XA26JZQ3 |
Show creator |
Gansel |
All creators |
Gansel, Christina (author) |
Title |
Textsortenlinguistik |
Show date |
2011 |
Type name |
book |
Ziel
- Impulse dafür schaffen, eine Textsorte mit der Systemtheorie zu analysieren und darüber besser zu verstehen, wie ein System (wie zum Beispiel Familie, Schule, Recht) bestimmte Funktionen besitzt, die die Kommunikation und damit die Textproduktion beeinflussen und zu bestimmten Eigenschaften und Handlungen führen, die über eine Textsorte verallgemeinert werden können.
Konzepte
- Text: "Ein Text ist eine in sich kohärente Einheit der Kommunikation mit einer erkennbaren kommunikativen Funktion und einer in spezifischer Weise organisierten Struktur." (S. 10)
- Der Textbegriff wird über kombinierte kommunikativ-pragmatische und strukturelle (grammatische und semantische) Ansätze definiert. [Hier wird vernachlässigt, dass die pragmatische Wende nicht eine vollkommen neue Perspektive offenbart hat, sondern deutlich gemacht hat, dass die strukturellen Elemente nur unter pragmatischen Begriffen verstanden werden können. Eine grammatische Struktur ergibt sich vordergründig aus den kommunikativ-pragmatischen Ansätzen. Alles andere wirkt merkwürdig, weil das bedeuten würde, dass ein sprachliches Konstrukt nicht als Kommunikationsmittel entstanden ist.]
- Merkmale der Diskussion über Texte, die sich auf dessen Gestalt auswirken können: Kommunikationsmedium, soziale Rollen der Kommunizierenden und Beziehungen zu den Kommunikationspartnern, soziale Faktoren wie Alter, Bildung, Bekanntschaftsgrad der Kommunizierenden, Ort, Zeit, Tätigkeitssituation, private oder öffentliche Kommunikation.
- Trennung von Textklassifikation und Typologisierung. Aufteilung des Textraumes in eine vertikale und eine horizontale Perspektive, im Sinn eines Strukturalismus. Die Textklassifikation beschreibt vertikal anhand eines eingegrenzten Kommunikationsbereichs das hierarchische Verhältnis verschiedener Textbegriffe zueinander: Textklasse, Textsorte und Textsortenvariante (Vgl. S. 11/12). Die Texttypologie beschäftigt sich auf der horizontalen Achse wiederum damit, ähnliche Eigenschaften zu vergleichen (textinterne Merkmale wie Gliederungsweisen, Stil wie Ironie, Medialität, Textfunktion aufgrund sprachlicher Indikatoren, Themenentfaltung) (Vgl. S. 13).
- [Die Aufteilung in Textklassifikation und Texttypologie lässt sich mit den beiden konstitutiven Ansätzen für die Textdefinition verbinden. Allerdings scheint die Aufteilung eher kontraproduktiv, da sich Eigenschaftenfelder wie Textfunktion und Themenentfaltung eben direkt mit dem Kommunikationsbereich verbunden sind. Die Aufteilung wirkt überflüssig und verkomplizierend.]
- Textklasse: Steht über der Textsorte als Kategorie mit textexternen Eigenschaften. Beispiele: Wissenschaftsbetrieb, Religiöse Ordenspraktik, Politik. (Vgl. S. 12/13)
- Textsorte: Beschreiben innerhalb der Textklassen bestimmte verschriftlichte Handlungsmöglichkeiten. (Vgl. S. 12) Textsorten gehören teilweise nur einer Textklasse an: Predigt der Religion, Parteiprogramm der Textklasse der Politik.
- Kerntextsorte: Eine Textsorte, die eine Textklasse konstituiert: Gesetz für die Textklasse des Rechts. Sie werden genutzt, um das System zu definieren. (Vgl. S. 53)
- Textsorten der konventionalisierten, institutionell geregelten Anschlusskommunikation: Reaktion auf das Kommunikationsangebot des eigenen Systems. Kommentare im Kommunikationsbereich des Journalismus. (Vgl. S. 55ff)
- Textsorten der strukturellen Kopplung: Textsorten zur Verbindung von Systemen. Einladung zum Elternsprechtag (Verbindung von Familie und Schule). (Vgl. S. 61)
- Textsortenlinguistik: "Unter Textsortenlinguistik ist also ein wesentlicher Bereich der Textlinguistik zu verstehen, dem die Aufgabe zukommt, Texte jeweils mit Bezug auf einen bestimmten Kommunikationsbereich als Textsorten zu analysieren, zu beschreiben und zu systematisieren." (S. 13)
- Stil: "Stil ist ein Phänomen der Wahl, sprachliche Mittel können individuell für die Umsetzung einer kommunikativen Aufgabe gewählt werden. In vielen Situationen werden Wahlmöglichkeiten jedoch eingeschränkt. Stil folgt dann bestimmten Normen." (S. 85)
- Funktionalstil: Funktionalstile stellen die Erwartungshaltung an eine bestimmte Textsorte dar, die durch die Textsorte reproduziert wird. (Vgl. S. 94)
Zusammenfassung
- "Wahrnehmbare, auch sprachliche Geräusche umgeben das Bewusstsein fast beständig, Kommunikation läuft ununterbrochen. D.h., dass autopoietische Systeme - Bewusstsein und soziale Systeme - über strukturelle Kopplungen ständig betroffen sind. Bewusstsein, soziale Kommunikationssysteme oder das Gehirn werden von daher mit 'Irritationen' versorgt." (S. 20)
- [Irritationen ermöglichen eine Selbstreflexion über bestimmte Fragestellungen.]
- Hypothese: "Der Textlinguistik sind Beobachtungen zur Doppelfunktion von Sprache1 möglich. Sie kann in Bezug auf systemtheoretisches Beobachtungsinstrumentarium die Doppelfunktion von Sprache beobachten und sich dabei selbst beobachten und eigene Begrifflichkeiten schärfen und systemtheoretisch reformulieren. Dabei geht es in keiner Weise um das Aufgeben bisheriger textlinguistischer Positionen, sondern um neue Impulse." (S. 20)
- Textsortenlinguistik unter Verwendung der Systemtheorie versucht aufzuzeigen, dass die Systemtheorie dabei helfen kann, die Sprachfunktionen in Bezug auf die Kommunikationsbereiche besser zu beschreiben, da systemtheoretische und sprachliche Analyse ähnliche Beobachtungsfelder besitzt ("Gesellschaft ist Kommunikation.", S. 16; Textklassen beschreiben verschiedene Systeme).
- [Ich bin eher davon überzeugt, dass die systemtheoretischen Begriffe keinen Mehrwert für die Textsortenlinguistik bieten, da sie ein einfaches Konzept wie die Vorstellung, dass Menschen in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche Texte schreiben, unnötig verkomplizieren. Gansel versucht die Einteilungen anhand gesellschaftlicher Systeme zu rechtfertigen, was grundsätzlich nachvollziehbar ist. Das Problem entsteht für mich, weil die Systemtheorie eine zusätzliche Ebene an Komplexität einführt, indem es bestimmte Begriffe von Luhmann bevorzugt und diesen Definitionen folgt. Ich kann nicht nachvollziehen, warum das unbedingt notwendig ist. Mir erscheint es so, als ob man sich damit unangreifbar machen möchte, indem man überkomplexe philosophische Gebilde zitiert, anstatt konkretere Teilaspekte.]
- Trennung von Handlung und Kommunikation. Kommunikation ist Bestandteil der Selbstkonstitution in Bezug auf die Auswahl von Information, Mitteilung und Verstehen. Handlung ist Teil der Selbstbeobachtung, ein zeitlich fixiertes Mitteilungsereignis. (S. 28)
- [Als sehr klarer Pragmatiker gehe ich mit dieser Unterteilung nur insofern mit, dass eine Kommunikation eine komplexe Handlung darstellt. Gansels Versuch die beiden Aspekte voneinander zu trennen, um deutlich zu machen, dass eine Handlung einen Kommunikationskontext voraussetzt, gehe ich nicht mit. Ein Kommunikationskontext wird erst durch bestimmte grundsätzliche Handlungen wie Atombewegungen ermöglicht. Kommunikation entsteht erst dadurch, dass einer Handlung ein gewisser Wert in Bezug auf unsere Menschlichkeit zugeordnet wird. Erst dann kann der Rückbezug darauf erfolgen, dass eine Handlung einen Kommunikationskontext besitzt.]
- Verschiedene Dimensionen zur näheren Bestimmung der Textsorte: (S. 39)
- Sachdimension: Inhaltliche und sprachliche Struktur (was und wie?)
- Zeitdimension: Diachrone Textsortenzuschreibung (wann?)
- Sozialdimension: Funktion, Situation (wozu, wer in welchem Kontext?)
- Textsorten bilden einen Funktionalstil aus. Das bedeutet, dass ihre Funktionen einen bestimmten Stil mit sich bringen. (Vgl. S. 79)
- Unternehmen bilden bestimmte Stile heraus, die das System nach außen hin positiv darstellen. (Vgl. S. 95ff)
- Systemtheoretische Evolutionsprinzipien können auf die Textlinguistik angewendet werden. (Vgl. S. 111)
- [Hier werden die Erkenntnisse der Memetheorie und evolutionären Biologie systemtheoretisch reproduziert. ↴ Shifman 2014, ↴ Dawkins 1976]
Anmerkungen
Literatur
- Dawkins, Richard. 1976. The selfish gene. Oxford: Oxford University Press. [ref: 7FBXIE5U; #2]
- Gansel, Christina. 2011. Textsortenlinguistik. UTB Profile 3459. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. [ref: XA26JZQ3]
- Shifman, Limor. 2014. Meme: Kunst, Kultur und Politik im digitalen Zeitalter. Deutsche Erstausgabe, 1. Auflage. Edition Suhrkamp 2681. Berlin: Suhrkamp. [ref: X3DTU5T2; #1]