KI-Manifest
Created: 2024-06-03 Updated: 2024-09-23
Description: | Film- und Fernsehschaffende veröffentlichen ein KI-Manifest in einer Zeit des Kinosterbens und der Abschwächung einer gesellschaftlichen Aufmerksamkeit durch individuelle Angebote. Auf dieser Seite stelle ich ihre Forderungen vor und positioniere mich dazu. |
Film- und Fernsehschaffende veröffentlichen ein KI-Manifest (Archiv) in einer Zeit des Kinosterbens und der Abschwächung einer gesellschaftlichen Aufmerksamkeit durch individuelle Angebote. Auf dieser Seite stelle ich ihre Forderungen vor und positioniere mich dazu.
1. Selbstverständnis
Kulturschaffende setzen sich mit dem Menschsein auseinander, spiegeln die menschliche Erfahrung, gehen mit der Gesellschaft in den Dialog.
Zunächst ist der Begriff der Kulturschaffenden zu klären, da dieser im Manifest nicht genau beschrieben wird. Es wirkt für mich so, als ob damit vor allem Menschen gemeint sind, die ihren Lebensunterhalt mit der Erschaffung von Medien verdienen, im erweiterten Kontext wahrscheinlich auch Personen, die auftreten und anderen die Möglichkeit bieten, sich mit interessanten Erfahrungen auseinanderzusetzen.1
Diese monetären Kulturschaffenden werden hier als besonders wertvoll dargestellt. Ich denke jedoch, dass das die Bedeutung von Menschen mindert, die ihr Geld nicht mit Kultur verdienen, sich aber dennoch kreativ, künstlerisch oder nachdenkend mit ihrer Umgebung auseinandersetzen.
Darüber hinaus ist der finanzielle Fokus ein Problem für das Selbstverständnis dieser Menschen, sich als wichtiger Dialogpartner der Gesellschaft zu betrachten. Denn eine Frage, was für die Gesellschaft gut ist, kann nur sehr eingeschränkt mit Menschen diskutiert werden, deren weitere Existenz von einem bestimmten Ausgang der Diskussionen abhängig ist. Alle Kulturschaffenden profitieren von KI, da sie sich wesentlich schneller auf mediale Weise mit menschlichen Fragestellungen beschäftigen können, was zu einer verstärkten und ausgeprägteren Kultur beitragen kann. Dieses Argument wird allerdings durch den monetären Aspekt in den Hintergrund verschoben.
Kreativität darf nicht entmenschlicht werden. Erstmals in der Geschichte der Menschheit müssen wir uns mit dieser realen Gefahr auseinandersetzen.
Das Konzept der Entmenschlichung ist im Deutschen konsequent negativ besetzt, unter anderem in Gesprächen über den Holocaust, der sich dadurch auszeichnet, dass den Menschen ihre Menschlichkeit entzogen wird. Im Manifest ist an dieser Stelle mit Entmenschlichung allerdings gemeint, dass Kreativität automatisiert wird. Welche Bedeutung diese Automatisierung für den kreativen Prozess und kreative Produkte hat, kann weiter untersucht werden.
In den 120 Jahren Filmgeschichte haben sich Menschen umfassende Kompetenzen in der Filmkunst erarbeitet. Es gibt hunderte Berufe, die eine große Kunstfertigkeit voraussetzen. Sollten diese Qualitäten einmal erst verschwinden, droht der unumkehrbare Verlust dieses menschlichen Wissens.
Ich habe zwei Gedanken dazu: 1. Warum sollte das Wissen verlorengehen, nur weil Menschen aufhören, es zu benutzen? Dieses Wissen wird durch verschiedenste Medien weitergegeben und dokumentiert. Und auch wenn keine Menschen mehr da sind, die es aktiv praktizieren (was sehr unwahrscheinlich ist), gibt es dennoch jederzeit die Möglichkeit, die jeweiligen Ideen wieder hervorzuholen und erneut zu benutzen. 2. Warum ist es schlimm, dass etwas verlorengeht, wenn sich die Gesellschaft dazu entscheidet, es nicht mehr zu benutzen? Haben diese Berufe einen Mehrwert für die Gesellschaft, der über den aktuellen Zeitgeist hinausreicht? Vielmehr erscheint es mir so, als ob es vor allem darum geht, dass sich die Gesellschaft verändert und dieser Prozess von den Menschen, die sich anpassen müssen, als problematisch betrachtet wird.
2. Fairness
Die generative KI wurde mit den Werken der Kulturschaffenden trainiert – ohne menschliche Kunst gäbe es keine KI. Die Urheberschaft wurde bei diesem Prozess nicht gefragt und nicht kompensiert. Für's Fragen ist es jetzt zu spät, es bleibt die Forderung nach einer fairen Beteiligung.
Wir brauchen eine Verwertungsgesellschaft, die am Geschäftsmodell generative KI beteiligt wird und an die Urheberschaft ausschüttet. Dazu fordern wir Transparenz in allen Belangen: Mit welchen Werken wurde die KI trainiert? In welcher Form beeinflussen diese Werke den jeweiligen Output der Algorithmen? usw.
Die Möglichkeiten, etwas zu gestalten, sind physikalisch ganz konkret begrenzt. Das bedeutet, dass es sehr viele, aber eben begrenzte Möglichkeiten gibt, etwas auf eine bestimmte Weise zu erzeugen. Davon gibt es wiederum eine kleinere Menge an Darstellungsformen, die menschliche Bedürfnisse ansprechen und von Menschen identifizert worden sind. Menschen haben diese Möglichkeiten entdeckt, aber es war bisher so, dass niemand einen Anspruch auf diese allgemeingültigen Verfahren besitzt.
Da Künstliche Intelligenz diese allgemeingültigen Verfahren nicht durch menschliche Identität absichert, entsteht der Gedanke, dass hier Urheberrechte missachtet werden, weil durch die Menschenähnlichkeit der Ergebnisse ja doch irgendwo im Code die Arbeit drinstecken muss, die die einzelnen Künstler investiert haben. Wenn eine begabte Malerin zum Beispiel so zeichnet wie Van Gogh, dann muss ja auch in ihr irgendwo die Arbeit von Van Gogh stecken. Und wahrscheinlich ist das auch so, aber vielleicht auch nicht, je nachdem ob sie in ihrer Laufbahn mit dem Künstler zu tun hatte oder nicht. Im Gegensatz zu Künstlicher Intelligenz würden aber nur wenige von der Künstlerin verlangen, zuordnungsfähige Beweise darüber zu führen, woher ihr Stil erwachsen ist, damit sie Abgaben an die jeweiligen ursprünglichen Kulturschaffenden abführen kann.
Unabhängig davon ist der Gedanke des urheberfähigen Werks vor allem eine auf Geld, Macht und Einfluss ausgerichte Idee, die die Grenzen des Produkts bestimmt, um es individuell zuordnen und verkaufen zu können. Natürlich geht es auch um eine gewisse Würde, da das Werk mit der Künstlerin verschmilzt und ihre Identität deshalb zumindest in Ansätzen geschützt wird, wenn nicht jeder das Werk 1-zu-1 kopieren darf. Dieser Aspekt spielt aber in vielen Diskussionen nur eine untergeordnete Rolle.
Was Künstliche Intelligenz anbelangt handelt es sich aber auch nicht um 1-zu-1-Reproduktionen, sondern um physikalische Komprimierungen des Stils, deren Repräsentation als Daten neuerdings möglich geworden ist und die auch in jedem künstlerischen Menschen als Abdrücke der Erfahrungen, die man durchgemacht hat, vorhanden sind. Da aber die Repräsentationen der KI wiederum genau lokalisiert und kopiert werden können und sich nicht im Gedächtnis eines Menschen vermischen, wird von den Kulturschaffenden der Gedanke ausformuliert, es fair zu vergüten. Was fair ist, ist aber nur schwer festzustellen, ähnlich zu einem Holzstuhl den man gekauft hat und für den man nun jedes Mal Geld an den Holzfäller abführen müsste, wenn man darauf sitzen möchte.
Wir brauchen eine klare und eindeutige Kennzeichnungspflicht für Inhalte, die (hauptsächlich) mit generativer KI erstellt wurden. Ohne eine Kennzeichnungspflicht für KI-generierte Bilderfluten ab sofort ist nicht nur unsere kreative Arbeit bedroht, sondern unsere Demokratie. Zusätzlich sind wir für die Erschaffung eines Labels “Human Made”, das nur Inhalte führen dürfen, die (ausschließlich) von Menschen erstellt wurden. Hier sehen wir vor allem Sender und öffentliche Förderer in der Pflicht.
Wie alle kulturellen Produkte vermischen sich Stile, Vorstellungen und Werkzeuge. Ist ein mit einem Computer hergestelltes Bild (mit Photoshop, mit spezifischen digitalen Stiften, mit Digitalfotos, mit einfachen Algorithmen erstellt) jetzt so viel anders, als ein Algorithmus, der ein weißes Rauschen anhand eines Prompts verringert? Für mich handelt es sich nur um ein weiteres Werkzeug, das jedoch durch die Menge an Daten eine besondere Qualität erreicht, die andere Werkzeuge nicht bieten können. Doch ab wann ist diese Qualität gegeben? Wenn ich einen linearen Algorithmus schreibe, der Rauschen entfernt, handelt es sich dann schon um künstliche Intelligenz? Oder erst wenn ich die Ergebnisse über Sprache steuern kann? Hier wird für mich deutlich, dass der qualitative Sprung durch Künstliche Intelligenz vor allem deshalb reguliert werden soll, weil er auf einer Werkzeugebene nicht verstanden wird. Niemand würde heutzutage noch behaupten, dass eine Filmkamera mit ihren Bilderfluten die Demokratie bedroht, obwohl ein Argument dafür ähnlich aufgestellt werden könnte.
3. Ehre/Würde
Arbeit ist nicht nur Broterwerb, sondern stiftet Identität und Würde. Deshalb ist ein Arbeitsumfeld mit einem Fokus auf Wertschätzung unserer Arbeit und ein menschliches Miteinander nicht nur ein Mittel zum Zweck, sondern auch ein Zweck an sich!
Ein solches Arbeitsumfeld gilt es zu schützen und nicht leichtfertig in einer Flut aus Bildern und Datenmüll, den die KI Modelle generieren, aus den Augen zu verlieren.
Auch dieser Aspekt setzt die monetären und traditionellen Aspekte der eigenen Arbeit in den Vordergrund, anstatt die Möglichkeiten von neuen Arbeitsumgebungen in Betracht zu ziehen und damit zu experimentieren. Hier wird meiner Ansicht nach vor allem eine Angst vor Veränderungen ausgedrückt, da man fürchtet, dass Künstliche Intelligenz dazu beiträgt, dass die bisher liebgewonnenen Arbeitsprozesse auf eine Weise verändert werden, die man selbst nicht absehen kann. Ein Schutz einer überflüssigen Arbeitsumgebung ist jedoch nur für diejenige Generation relevant, die damit aufgewachsen ist und sollte darüber hinaus nur dann umgesetzt werden, wenn dieser Schutz für die Gesellschaft insgesamt gerechtfertigt werden kann.
Wir wollen KI Tools nutzen, solange sie ein Werkzeug bleiben und nicht zur Fremdbestimmung über uns führen, sondern menschlichen Handlungsraum und Kreativität erweitern!
Das sehe ich genauso. Es braucht ein Verständnis über die Wirkungsweise von Werkzeugen, um sie sinnvoll nutzen zu können.
4. Kontrolle
Um den Herausforderungen dieser neuen Epoche gerecht zu werden, müssen wir als Branche zusammenstehen und die Diskussion über die Frage “Was wollen wir eigentlich mit (generativer) KI?” gemeinsam führen und in klare Forderungen an Politik, Förderung, Sender und Gewerkschaften übersetzen.
Eine Entschleunigung der Entwicklung bzw. der Anwendung generativer KI kann den Raum schaffen, um diese wichtige Diskussion zu führen und gemeinsame Ziele zu formulieren.
Ich bin zwiegespalten, was eine Entschleunigung anbelangt. Auf der einen Seite finde ich es grundsätzlich gut, mögliche Wege der Nutzung von Künstlicher Intelligenz zu erkunden, um damit gesellschaftlich bessere Ergebnisse zu produzieren. Auf der anderen Seite hat Deutschland langfristig weder Rohstoffe noch Fachkräfte, sodass eine Konzentration auf Zukunftstechnologien ein wesentlicher Kern unseres zukünftigen Wohlstands sein wird. Wenn KI nun bewusst beschränkt wird, werden mögliche gesellschaftliche Verbesserungen hinausgezögert.
Da KI sämtliche Bereiche unserer Wirtschaft und Gesellschaft betrifft, darf es nicht bei einer Diskussion in der kreativen Bubble bleiben, sondern wir müssen unsere Stimmen nutzen, um in einem gesamtgesellschaftlichen Schulterschluss unser aller Zukunft zu gestalten!
Den Herausforderungen und Gefahren generativer KI können wir nur gemeinsam begegnen. Als ersten Schritt wünschen wir uns deshalb eine Weitererarbeitung dieses Papiers in einer großen, branchenweiten Debatte.
Das sehe ich genauso.
Anmerkungen
- Ich halte den Begriff Kulturschaffende für fehlplatziert, da jeder Mensch durch seine Beschäftigung mit seinem Leben im Dialog mit anderen Kultur erzeugt, unabhängig davon ob er dafür bezahlt wird oder nicht. Und das kann nur verschwinden, wenn Menschen keine Möglichkeit mehr haben, mit ihrer Umgebung zu interagieren. ↩︎