Erzählen

Created: 2016-05-06 Updated: 2023-01-29 History Videos

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Confidence: Ich muss noch mehr dazu forschen, da ich noch keine zufriedenstellenden Antworten gefunden habe.

Diese Seite beschäftigt sich mit dem Erzählen als Möglichkeit, Erfahrungen aufzubereiten und anderen zur Verfügung zu stellen. Auf dieser Seite möchte ich klären, was das Erzählen als Tätigkeit genau beschreibt und wie man es nutzen kann, um anderen etwas Bestimmtes zu vermitteln.

Gliederung

  1. Konzept
    1. Veränderungen
    2. Grenzfälle
    3. Weitere Überlegungen
  2. Untersuchungsansätze
    1. Handlung
    2. Figuren
    3. Welt
    4. Erzählinstanz
    5. Beziehungen
  3. Erzählerische Mittel
  4. Textsorten und Genres
    1. Horror
  5. Erzählmuster
    1. Joseph Campbell
    2. Dan Harmon
    3. Pixar-Methode
    4. Frank Kermode
  6. Essays
  7. Anmerkungen
  8. Abbildungen
  9. Literatur

Konzept

Figure 1. Verschiedene Formen der Informationsvermittlung

Definitionen von grundlegenden Konzepten wie dem Erzählen sind schwierig, weil sie ein breites Spektrum unterschiedlicher Funktionen abdecken sollen. Dadurch werden sie jedoch komplex und unhandlich.

Ich würde das gern vermeiden, da ich davon überzeugt bin, dass das Erzählen sehr wichtig in der menschlichen Kommunikation ist. Aus diesem Grund handelt es sich bei der nachfolgenden Definition vor allem um den Versuch, eine einfach gehaltene Annäherung an die Tätigkeit des Erzählens zu finden.

Ich möchte mit dieser Definition die Art der Vermittlung in den Vordergrund setzen. Anstatt also darüber zu sprechen, welche Inhalte (möglicherweise nur bestimmte Erfahrungen und Gefühle, Fiktionalität, Modus der Vergangenheit, Symbolhaftigkeit) eine Erzählung behandelt oder welche formalen Merkmale (gesprochen, geschrieben, gezeigt) die dazugehörigen Medien aufweisen müssen, möchte ich mich auf die Art und Weise konzentrieren, nach der eine Handlung ausgeführt werden muss, um als Erzählung zu gelten.

Das Erzählen ist eine Art der Vermittlung von Informationen, bei der über die (zum Miterleben) anleitende Präsentation von Veränderungen innerhalb einer beliebigen Ausdrucksform (zum Beispiel Mündliches, Schriftliches, Film, Musik, Computerspiel) ein Kommunikationsziel (zum Beispiel Unterhaltung, Wissensaustausch, Warnung, Empathieerzeugung, Erkenntnis) erfüllt werden soll.

Wenn zum Beispiel ein Zeuge in einem Gerichtsprozess aussagt, dass ein Beschuldigter zur besagten Zeit am Tatort gewesen ist, dann wird zunächst einmal nur eine logische Verknüpfung zwischen einer Frage (War der Beschuldigte zu der Zeit am Tatort?) und einer ergänzten Information (Der Beschuldigte war am Tatort.) erzeugt. In diesem Fall würde ich bisher nur von einer Wirklichkeitsdarstellung eines Zustands in der Vergangenheit sprechen.

Sobald der Zeuge allerdings beschreibt, was der Beschuldigte den Tag über gemacht hat und wie er dann zum Tatort gelangt ist, werden die Zuhörer dazu angeregt, die beschriebenen Veränderungen zu verfolgen, um unter Umständen selbst zu einer Schlussfolgerung zu gelangen. Dieses zweite Verfahren der versuchten Anleitung der Verfolgung von Veränderungen beschreibt für mich eine Erzählung. In diesem Fall handelt es sich um eine mündliche Erzählung im Gegensatz zu Erzählungen im Film, in der Musik oder in Computerspielen.

Dabei ist gesondert zu betonen, dass der Wahrheitsgehalt der einzelnen Bestandteile, der für gewöhnlich bei Geschichten bewusst ausgesetzt wird, bei genau dieser Erzählung sehr wichtig ist (das Gericht ist an der Wahrheit interessiert, um eine mögliche Schuld zu klären, im Gegensatz zu vielen sonst ausgedachten Geschichten). Dennoch ist der Wahrheitsgehalt in diesem Fall nicht allein relevant, sondern wird durch den logischen Zusammenhang der Veränderungen ergänzt, der eine Herleitung der Zuhörenden ermöglicht. Dieser präsentierte Zusammenhang kann wiederum nicht nur die Beweiskraft der Zeugenaussage erhöhen, sondern macht die Zeugenaussage in diesem Beispiel ganz konkret zu einer Erzählung.

Es ist jedoch noch nicht geklärt, wie eine anleitende Präsentation verallgemeinert betrachtet umgesetzt werden kann. Matías Martínez beschreibt in Anlehnung an William Labov eine mögliche Antwort auf diese Frage, indem er eine Eigenschaft erzählender Texte einführt, die mit einer anleitenden Präsentation gleichgesetzt werden kann. Bei dieser Eigenschaft handelt es sich um die "Notwendigkeit einer zumindest teilweisen sequentiellen Korrespondenz von Darstellung und Dargestelltem."1 Damit ist der gedachte lineare Ablauf einer Erzählung gemeint. Wenn der Zeuge oben im Beispiel chaotisch die verschiedenen Orte auflistet, an denen sich der Angeklagte aufgehalten hat, dann lässt sich die Sequenz der realen Ereignisse nicht mehr ohne Weiteres mit der Sequenz der Darstellung des Zeugen übereinanderlegen. Dieser Bruch kann dazu führen, dass die Präsentation die Wahrnehmung eben nicht mehr anleitet und deshalb in diesem Kontext auch nicht mehr als Erzählung verstanden werden sollte. Dennoch sollte diese Eigenschaft mit Vorsicht betrachtet werden. Und das ist auch der Grund, warum ich in meiner Definition allgemeiner von einer anleitenden Präsentation spreche und nicht von Sequenzen. Denn in welcher Reihenfolge etwas vielleicht wirklich passiert ist, lässt sich genau genommen nicht überprüfen und was ein Empfänger unserer Nachricht als eine für seine Verhältnisse "natürliche" Sequenz an Ereignissen wahrnimmt, ist ebenfalls nicht leicht zu klären. Darüber hinaus hat das Wort Ereignis, das Martínez an dieser Stelle verwendet, eine gewisse Unklarheit in Bezug auf seine interne Struktur. Jedes Ereignis besteht aus Zustandsveränderungen. Wirkt eine Beschreibung der Veränderung vom Zustand ohne Ereignis zum Zustand mit Ereignis nicht bereits erzählend? Eine anleitende Darstellung bleibt als Definition unkonkreter, hat aber damit den Vorteil, den pragmatischen Teil, die Wirkung der Präsentation von Veränderungen stärker in die Überlegungen zum Erzählen miteinzubeziehen.

Abschließend möchte ich noch auf ein allgemeines Problem der Sprachwissenschaft zu sprechen kommen: Es können immer sowohl bei den Zuhörenden als auch bei den Erzählenden Kommunikationsprobleme entstehen, sodass die anleitende Präsentation in der Praxis nicht erkannt werden kann. Wenn das der Fall ist, dann kann man sich für die weitere Analyse generell fragen, ob denn überhaupt eine Intention erkannt werden kann, Informationen zu vermitteln und wenn ja, ob es sich nicht auch um eine Darstellung von Zuständen oder um eine Darstellung der logischen Verknüpfung von Behauptungen handeln könnte.

Veränderungen

Eine Veränderung ist der Übergang von einem Zustand zum nächsten. Eine Darstellung von mehreren Zuständen, die in einem logischen Zusammenhang stehen, kann demnach zu einer Erzählung werden2, wenn die Präsentation dieser Zustände dazu anleitet, sie mitzuerleben und zu verfolgen.

Ein Zustand ist die Zuordnung einer bestimmten Menge von Eigenschaften.

Was als Veränderung und was als Zustand begriffen wird, ist davon abhängig, was jeweils subjektiv erkannt wird. Dies macht den Übergang vom Beschreiben zum Erzählen fließend. Je mehr Elemente einer Veränderung jedoch vorhanden sind, desto mehr kann von einer Erzählung anstatt von einer Beschreibung gesprochen werden. Solche Elemente sind zum Beispiel das Vorhandensein von Akteuren (handelnden Individuen) und deren Wirkungen oder die mehrfache unterschiedliche Darstellung derselben Sache zu verschiedenen Zeiten.

Um meine stark auf das Handeln ausgerichtete Definition zu verteidigen, möchte ich auf ein daran anschließendes Gegenargument eingehen. Zustände oder Veränderungen lassen sich auf abstrakter Ebene als inhaltliche Kriterien für die Definition bestimmen: Man vergleicht die drei Formen der Informationsvermittlung anhand ihrer Unterschiede in Bezug darauf, ob sie inhaltlich Veränderungen, Zustände oder ihre Verknüpfungen vermitteln. Grundsätzlich ist diesem Gegenargument zunächst zuzustimmen, da Erzählungen ohne eine Veränderung für mich keine Erzählungen sind. Ich würde aber widersprechen, dass das Wort inhaltlich hier sinnvoll verwendet werden kann, da es sich bei einer Veränderung und einem Zustand wie bereits oben ausgeführt nicht um zwei unterschiedliche Sachen, sondern es sich eher um eine Frage des Modus handelt. Inhaltlich gesehen sind Veränderungen aufeinanderfolgende Zustände und damit nichts anderes als Zustände. Dasselbe gilt für die Verknüpfungen einer Erörterung. Die Verknüpfungen von Zuständen und Veränderungen miteinander und in ihren jeweiligen Gruppen führen keine neue Kategorie von Zuständen ein, sondern verwenden dieselbe wie beim Beschreiben.

Grenzfälle

Ein Landschaftsgemälde ist normalerweise ein Kunstwerk, das vordergründig einen Zustand repräsentiert und demnach nicht als Erzählung aufgefasst werden kann. Wenn ein solches Gemälde jedoch auf der linken Seite eine morgendliche Lichtgestaltung besitzt und nach rechts hin die Lichtgestaltung graduell zur Nacht wechselt, dann wird über die Darstellung eine Veränderung wiedergegeben. Diese leitet möglicherweise auch zum Miterleben an, indem sie eine klare zeitliche Veränderung aufweist und nicht chaotisch wechselt. Je nach Betrachtungsweise kann davon gesprochen werden, dass ein solches Landschaftsgemälde entweder etwas beschreibt oder erzählt, je nachdem ob man die Lichtgestaltung als Teil des Zustands oder als anleitende Veränderung betrachtet.

Sich über die Zeit verändernde Kunstwerke wie Statuen aus sich verändernden Materialien sind an die Wahrnehmungsmöglichkeiten der Zuschauenden gebunden. Aus der Perspektive eines gewöhnlichen menschlichen Zuschauers wird nur ein Zustand wahrgenommen, während aus der Perspektive eines Zeitraffers eine Veränderung abläuft. Hier wird infragegestellt, ob es überhaupt Zustände gibt, die sich niemals verändern und ob man dann den Betrachtungszeitraum nicht einfach nur entsprechend groß wählen muss, um aus jeder Beschreibung eine Erzählung machen zu können. Dies ist im besonderen Maße zu beachten, da sich die Interpretation einer wahrnehmenden Person verändern kann und beim nächsten Mal einen anderen Zustand aufnehmen könnte.

Bestimmte Handlungen wie das Stellen von Fragen können ebenfalls dazu genutzt werden, Informationen zu vermitteln. Ich gehe jedoch davon aus, dass die Vermittlung der Informationen in eine der drei Grundkategorien fällt. Wenn ich zum Beispiel danach frage, was der Zusammenhang zwischen einer Handlung und ihren Folgen ist, dann vermittle ich damit, dass es zwischen diesen beiden Konzepten eine logische Verknüpfung geben könnte. Damit würde die Frage als Bestandteil einer Erörterung verstanden werden, da sie die Behauptungen "es gibt Handlungen", "es gibt Folgen" und "es gibt einen Zusammenhang zwischen Handlungen und Folgen" über eine Besitzabhängigkeit (Handlungen besitzen Folgen) und damit logisch verknüpft. Die Frage als Form der Erörterung weist darüber hinaus jedoch darauf hin, dass der Zusammenhang zwischen Handlungen und Folgen bisher untererklärt ist und demnach noch eine Auflösung benötigt.

Weitere Überlegungen

Während bei der vorgestellten Definition des Erzählens die Art der Vermittlung in den Vordergrund gesetzt wurde, gibt es eine Reihe von weiteren Überlegungen zur Definition, die sich auf andere Aspekte des Erzählbegriffs beziehen.

Eine dieser Überlegungen betrachtet eine Geschichte als eine Karte von Konzepten für verschiedenste Phänomene und Systeme3, bei denen bestimmte vorsortierte Kategorien genutzt werden, um ein Verständnis zu erzeugen. Auf der Erzählebene sind diese Kategorien zum Beispiel Untersuchungsansätze wie Handlung, Figuren oder Erzählinstanz. Solche Beschreibungen von Geschichten als konzeptionelle Karten verweisen darauf, dass Erzählungen für das menschliche Verständnis wichtig sind, weil sie davon ausgehen, dass das Gehirn Informationen entsprechend solcher konzeptionellen Karten sortiert.

Eine Erzählung als kommunikative Äußerung kann auch als ein kulturelles Phänomen, Mem oder Virus4 betrachtet werden, sodass entsprechende inhaltliche Kriterien dieser Bereiche auf die Erzählung angewendet werden können. Eine epidemologische oder evolutionsbiologische Untersuchung einer Erzählung auf Basis der Annahme, dass ein kulturelles Phänomen nur überleben kann, wenn man sich an dieses erinnert, führt zu einigen Eigenschaften, die eine erfolgreiche Geschichte auszeichnen können: Das sind zum Beispiel eine Einfachheit des Erzählens der Geschichte sowie eine einfache Verständlichkeit der Erzählung, eine weniger starke Falszifizierbarkeit, damit die Geschichte nicht sofort als falsch abgelehnt wird, eine gewisse Überzeugtheit in die Inhalte der Erzählung, das ein Anzweifeln der Tatsachen verringert. Die Erzählung muss darüber hinaus ansteckend sein, sie muss Elemente besitzen, die ihre Zuhörer davon überzeugen, dass die Geschichte einen Wert in ihrem eigenen Leben besitzt und die sie dazu anregt, darüber sprechen zu wollen. Eine ansteckende Erzählung muss darüber hinaus die Handlungen des Wirtes beeinflussen können, damit sie ihn dazu bringt, die Geschichte weiterzutragen: Sie muss Anregungen für gutes und Abschreckungen für schlechtes Verbreitungsverhalten bieten, sie muss den Eindruck erwecken, dass die Handlungen des von der Geschichte Betroffenen stets eine Bewertung erwartet, wenn dieser sich nicht gut verhält und sie muss so viele Elemente aus dem Umfeld der Zuhörenden beinhalten, um die Wahrscheinlichkeit eines Anknüpfungspunktes an eigene Handlungen zu erhöhen.

Eine weitere Überlegung besteht im Zusammenhang zwischen Erzählung und Literatur. Literatur ist die Anerkennung eines Textes als etwas Besonderes (dementsprechend Kunst). Eine andere Definition bezeichnet Literatur als jegliche schriftliche Fixierung innerhalb eines bestimmten Bereiches (Fachliteratur). Eine Diskussion über die Literarizität eines Textes ist jedoch in den meisten Fällen ein Austausch über die Anerkanntheit eines Werkes als Kunst innerhalb einer Gesellschaft. Die Diskussion versucht, den Wert eines Werkes anhand der verschiedenen Ausprägungen von Untersuchungsansätze zu klären. Ob eine solche Wertzuschreibung über die persönliche Anerkennung hinausgehen kann, ist von neurologischen Effekten wie einem wahrscheinlichen Wohlbefinden bei bestimmten Wahrnehmungen abhängig (aufgrund zum Beispiel des Erlebens von Geborgenheit bei Traditionen oder einem allgemeinen Wohlgefühl bei einem konkreten visuellen Reiz).

Die Unterscheidung von schriftlich fixierten Texten in Epik, Lyrik und Dramatik ist vor allem dafür geeignet, bestimmte Methoden für die Analyse und Textgestaltung zu sammeln. Grundsätzlich schränken sie aber durch ihre Omnipräsenz als Gattungstrias das Denken über Texte radikal ein, weil sie eine Taxonomie vorspielen, die nur sehr oberflächlich gerechtfertigt werden kann. Zum Beispiel ist die Erzählinstanz der Epik als Sprechinstanz in allen drei Gattungen vorhanden. Ebenfalls ist die anleitende Präsentation einer Veränderung (das Erzählen als Vermittlung) in allen Gattungen verbreitet. In Versen geschriebene Texte (Lyrik) stellen zum Beispiel nur selten einen einzigen Zustand dar. Das Konzept der Gattung wird mehr und mehr durch das Konzept der Textsorte ersetzt. Dabei wird ein eher geschichtsträchtiges Wort (siehe Gattung bei Aristoteles oder Goethe) durch ein eher wenig an bestimmte Definitionen gebundenes Wort wie Sorte ersetzt, das aus diesem Grund mehr Definitionsfreiraum erhält.

Untersuchungsansätze

Die vorgestellten Untersuchungsansätze sind mögliche Ausgangspunkte für eine nähere Beschäftigung mit einem konkreten Text. Sie müssen nicht alle abgearbeitet werden, sondern bieten lediglich die Chance auf interessante Einblicke.

Die Untersuchungsansätze ermöglichen dabei eine Einteilung der Elemente eines Textes, um die Intentionen und Botschaften zu strukturieren und mögliche Interpretationen mit Belegen abzusichern. Wenn Interpretationen abgesichert wurden, kann die eigene Wahrnehmung von anderen überprüft werden. Das über den Text Vermittelte kann dann aber auch verallgemeinert und auf andere Erfahrungen übertragen werden. Dies ist vielleicht für diejenigen spannend, die herausfinden möchten, wie sie selbst etwas besser vermitteln könnten.

Die nachfolgenden Katagorien lassen sich auf verschiedene Ausdrucksformen (Filme, Computerspiele, Theater, Musik) anwenden, besitzen aber ihren Ursprung vor allem in der Forschung zur Erzählung innerhalb von schriftlichen literarischen Texten und werden deshalb vordergründig aus dieser Perspektive erläutert.

Geschichte/Erzählung/Récit: Eine Erzählung (oder im Alltag geläufiger eine Geschichte) kann als das Produkt eines Erzählprozesses bezeichnet werden. Ein Prozess ist erzählend, wenn die Empfänger der Kommunikation vom Sender überzeugend dazu angeleitet werden, die dargestellten Veränderungen zu verfolgen. Eine Erzählung basiert dabei auf den Erfahrungen des Senders. Diese werden jedoch durch Weltwissen (zum Beispiel Geschichtswissen oder Wissen über das Verständnis bestimmter Symbole) angereichert und vom Empfänger in sein eigenes Verständnis übersetzt.

Die Kategorien bauen dabei auf den Systemen von Genette2 und Stanzel5 auf und verallgemeinern diese, um eine breitere Auswahl an Untersuchungen in verschiedenen Ausdrucksformen zu ermöglichen. Anstatt jeden Bereich genau auszudefinieren, soll überhaupt ein Verständnis für die übergeordneten Ansatzpunkte geschaffen werden. Dies führt dazu, dass die Untersuchungsansätze wie die Erzählinstanz mit konkreteren Kategorien wie zum Beispiel der Stimme bei Genette oder den Erzähltypen bei Stanzel verknüpft werden können und es Analysierenden so gestatten, sich die Methoden herauszusuchen, die für die eigene Analyse besonders fruchtbar sind, ohne sich dabei einem vollständigen Strukturierungssystem unterordnen zu müssen.

Martínez und Scheffel6 unterteilen ihre Erzähltheorie in ein "Was" und ein "Wie"des Erzählens: Das "Was" umfasst wie bei mir auch die Handlung, die Figuren und die Welt, wobei die Welt bei den beiden noch einmal in ihren physischen Teil (den Raum bzw. die Schauplätze) und den psychologischen Teil (die erzählte Welt bzw. das im Kopf Konstruierte) getrennt wurde. Das "Wie" umfasst in genauerer Ausführung die Aspekte meiner Erzählinstanz, die sie (wie oben bereits als möglicher Weg beschrieben) mit Genette und Stanzel konkretisieren. Abschließend gehen Martínez und Scheffel mit ihren Kontexten des Erzählens7 auch auf die Beziehungen ein und bieten damit eine umfangreichere Herleitung für alle hier beschriebenen Ansätze. Dennoch plädiere ich für eine offenere Herangehensweise, die sich weniger konkret mit den Ansätzen beschäftigt, um genügend Ansatzpunkte für eigene Überlegungen innerhalb der Ausdrucksform zu finden.

Figure 2. Untersuchungsansätze

Handlung

Handlungen beschreiben Veränderungen in Texten.2 Die Handlung als Untersuchungsansatz ist demnach die Eigenschaft eines Textes, die Veränderung einer Sache zu einer anderen darstellen zu können. Handlungen grenzen sich von Welten dahingehend ab, dass sie eine bestimmte Perspektive einnehmen.

Figuren

Figuren oder Charaktere bezeichnen handlungstragende, mit Eigenschaften ausgestaltete Individuen oder Träger von Veränderungen. Eine Figur wird an manchen Stellen auf die Handlungsfähigkeit oder die Reflexionsfähigkeit verkürzt. Erzählungen können aber auch so betrachtet werden, dass sie immer Figuren besitzen, da sich Veränderungen immer auf etwas auswirken. Und dieses Etwas kann dann als Figur begriffen werden, da wir die Veränderung vermenschlichen. Es entsteht eine Ähnlichkeit zwischen diesem Etwas und uns selbst als Menschen, sodass eine Identifikation und damit ein Lernen möglich wird. Kann sich ein Konsument nicht mit einer Figur identifizieren, verringert sich wiederum die Präsentationsstärke der Veränderungen und damit auch das Lernen, weil ein klarer Anknüpfungspunkt fehlt. Zum Beispiel: Der Wasserstoff schwitzt und geht danach schwimmen.

Welt

Die Welt einer Erzählung ist die gedachte Wirklichkeit, in der sich einzelne Aspekte der Veränderung realisieren. Eine Welt umfasst damit die Gesamtzahl aller möglichen Veränderungen. Eine ausgedachte Welt kennzeichnet sich durch bestimmte Abweichungen von der Realität, die Autorinnen die Möglichkeit geben, nicht nur von der Wahrheit abzuweichen, sondern überhaupt kreativ sein zu können.

Erzählinstanz

Die Erzählinstanz ist die teilweise personifizierte Eigenschaft eines Textes, etwas auf eine bestimmte Weise zu kommunizieren. Die Personifizierung hilft dabei, als Bild zu verdeutlichen, wie die Informationsübertragung gedacht werden kann (zum Beispiel wie bei der oben erwähnten mündlichen Erzählung einer Geschichte eines Zeugen). Sie ist darüber hinaus auch sinnvoll, um den Aspekt der Anleitung stärker hervorzuheben, der für die Erzählung als Art der Vermittlung relevant ist. Insgesamt ist es aber problematisch, die Erzählinstanz zu sehr zu vermenschlichen, da ansonsten die nichtmenschlich geprägten erzählerischen Mittel der Erzählinstanz wie zum Beispiel das Aussehen der Schrift (Farbe, Größe) bei schriftlichen Texten oder der Aufbau zu einer bestimmten Struktur (die Worte eines schriftlichen Textes formen zum Beispiel einen Apfel) in der Untersuchung vernachlässigt werden.

Beziehungen

Eine Beziehung verbindet ein Konzept mit einem anderen Konzept über ein drittes Konzept. Es geht in diesem Fall nicht konkret um die persönliche Beziehung zwischen Menschen, die bei der Analyse der Figuren relevant ist, sondern um die Beziehung zwischen Konzepten. Ein Stuhl kann zum Beispiel aus Holz hergestellt sein. Das Konzept Stuhl ist demnach mit dem Konzept Holz über das Konzept Herstellungsmaterial verbunden. Oder ein Buch kann auf einem Tisch liegen. Dann ist das Konzept Buch mit dem Konzept Tisch über das Konzept Lage verbunden.

Beziehungen sind eine sehr allgemeine Kategorie und können auf jede Untersuchung angewendet werden. Die Untersuchung von Beziehungen in Erzählungen soll jedoch dazu anregen, die Elemente eines Werkes mit der Wirklichkeit zu vergleichen, um die Bedeutung eines Werkes für einzelne Menschen feststellen zu können. Wenn keine Beziehung zur Wirklichkeit hergestellt werden kann, dann wäre das Werk für ein Individuum bedeutungslos.

Erzählerische Mittel

Erzählerische Mittel (auch rhetorische Figuren, rhetorische Stilmittel) sind formalisierte Möglichkeiten, einzelne konzeptionelle Kategorien (Untersuchungsansätze wie Handlung, Figuren, Welt, Erzählinstanz oder Beziehungen) näher auszugestalten. Während Erzählmuster häufig umfassende Strukturierungstendenzen vorgeben, erscheinen erzählerische Mittel eher modularer. Im Gegensatz zu rhetorischen Figuren umfasst die Bestimmung von erzählerischen Mitteln auch Elemente der inhaltlichen Strukturierung (Motive), die im Zusammenhang mit intertextuellen und historischen Referenzen (Stoffen) stehen können sowie intersubjektiv verwendete Überzeugungen (Konzepte). Dabei bilden sie bestimmte Untergruppen, die unterschiedliche Abgrenzungsaspekte in den Vordergrund setzen können.

Eine von mir bevorzugte Variante der Einteilung von formal orientierten Mitteln bezieht sich auf die Fachbereiche der Sprachwissenschaft. Ein erzählerisches Mittel wie die Metapher lässt sich dabei vor allem der Semantik zuordnen, da es nicht um klangliche (phonologische) oder stellungsbezogene (syntaktische) Aspekte der Bedeutung geht, sondern um die Erläuterung eines Konzeptes durch ein anderes (semantisch, bildhafte Figur), konkreter durch eine Ersetzung der Bedeutung einer Sache durch eine andere (Trope), konkreter durch eine über den gewohnten Zusammenhang hinausgehende Verwendung eines Ausdrucks (Metapher).

Ein inhaltlich orientiertes erzählerisches Mittel wie das Motiv des strahlenden Helden ist Teil einer näheren Ausgestaltung einer Figur, wobei hier eher eine auf offeneren Beziehungen ausgerichtete Systematik greift. Der strahlende Held enthält dabei bewusste Überschneidungen mit anderen kulturellen Phänomenen wie dem Ritter in strahlender Rüstung oder dem patriotischen Held. Diese Überschneidungen führen zu einer hierarchischen Strukturierung (Taxonomie) für das Verständnis inhaltlicher Stereotypen. Ein kulturelles Phänomen (siehe auch Festigkeit eines Konzepts) ist das populäre und damit wiederholte Auftreten eines Konzepts in der öffentlichen Wahrnehmung einer Gesellschaft, ausgelöst durch die wiederkehrende Auseinandersetzung damit.

Textsorten und Genres

Textsorte und Genre sind ähnliche Konzepte, die eine kulturell geprägte Zusammenstellung von erzählerischen Mitteln bezeichnen. Die Textsorte bezeichnet dabei jegliche Einteilungskategorie für einen konkreten Text, während das Genre eher eine inhaltlich gewachsene Kategorie ist.

Zum Beispiel sammelt ein Western als Genre vor allem inhaltlich geprägte Motive wie den Antihelden, den einsamen Wolf, die unerforschte Welt, das verschlafene Städtchen und erschafft mit einem einzelnen Wort eine bestimmte Identität. Diese Zusammenstellung kann dann in Verbindung mit anderen historischen Gegebenheiten oder Genres über Neuzusammenstellungen zu einem bewusst erzeugten Gefühl führen, zum Beispiel als ein Western im Weltraum (wie zum Beispiel Cowboy Bebop).

Im Gegensatz dazu könnte eine andere Art der Einteilung zu Textsorten führen, die zum Beispiel das Vorhandensein von musikalischen oder syntaktischen Elementen besprechen, ohne überhaupt auf die inhaltliche Struktur eingehen zu müssen. Textsorten sind daher das offenere Konzept.

Horror

Erzählmuster

Erzählmuster sind ein größeres erzählerisches Mittel und beschreiben welche Handlungs- und Figurenstruktur eine Erzählung nutzt. Sie können damit sowohl als Basis für eine Untersuchung als auch als Vorlage für eigene Erzählungen verwendet werden.

Joseph Campbell

Der Monomythos ist das Konzept, dass ein Erzählmuster auf alle Geschichten der Menschheit angewendet werden kann, da diese auf gemeinsame psychologische Muster zurückgreifen. Campbell formuliert einen solchen Ansatz in seinem Buch "The Hero with a Thousand Faces".

Dan Harmon

  1. A character is in a zone of comfort or familiarity.
  2. They desire something.
  3. They enter an unfamiliar situation.
  4. They adapt to that situation.
  5. They get that which they wanted.
  6. They pay a heavy price for it.
  7. They return to their familiar situation.
  8. They have changed as a result of the journey.

Pixar-Methode

https://www.aerogrammestudio.com/2013/03/07/pixars-22-rules-of-storytelling/

Once upon a time there was . Every day, . One day . Because of that, . Because of that, . Until finally .

Frank Kermode

Frank Kermode beschreibt ein Muster für die Analyse von Geschichten, bei dem Geschichten als der Versuch einer Harmonisierung zwischen Anfang, Mitte und Ende bewertet werden, wobei Menschen sich danach sehnen, dem Anfang oder Ende beizuwohnen. Dies erscheint als eine Weiterentwicklung des Konzepts, dass das Erzählen Veränderungen präsentiert, im Hinblick auf die menschliche Psyche und die alltägliche Wahrnehmung, nach der sich nur wenig von Tag zu Tag verändert.

"Kermode claims that humans are deeply uncomfortable with the idea that our lives form only a short period in the history of the world. So much has gone before us and so much will come after us. We look for a 'coherent pattern' to explain this fact, and invest in the idea that we find ourselves in the middle of a story. In order to make sense of our lives we need to find some 'consonance' between the beginning, the middle, and the end. Humans have always used such 'fictions' to impose structure on the idea of eternity, including Homer, Augustine of Hippo and Plato. Stemming from a long tradition of Christian apocalyptic thought, we now have the idea that the beginning was a golden age. The middle is the age in which we now live, and is characterised by 'decadence', where what was good has declined and is in need of 'renovation'. In order to usher in a new age, a process of painful purging (or 'terrors') needs to be undergone. This allows us to explain the chaos and 'crisis' we see unfolding around us. People living in the middle often believe that the end is very near, and that their own generation is the one with responsibility to usher in a new world. Kermode writes: 'It seems to be a condition attaching to the exercise of thinking about the future that one should assume one's own time to stand in extraordinary relation to it.'" - The Sense of an Ending: Studies in the Theory of Fiction

Essays

Die hier vorgestellten Essays sollen eigene Überlegungen zum Erzählen anregen.

Anmerkungen

  1. Martínez/Scheffel 2016, S. 168 ↩︎
  2. Genette/Knop/Vogt/Kranz 2010 ↩︎, ↩︎, ↩︎
  3. Lesswrong Conceptual Maps ↩︎
  4. Dawkins, Wait But Why ↩︎
  5. Franz K. Stanzel: Theorie des Erzählens. (=UTB 904), 6. unveränderte Auflage, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1995, ISBN 3-8252-0904-0 ↩︎
  6. Martínez/Scheffel 2016 ↩︎
  7. Martínez/Scheffel 2016, S. 167 ↩︎

Abbildungen

Literatur